Geschichten von Banditen auf Sardinien sind ein Dauerbrenner, ein Aufmerksamkeit heischender Teil der Geschichte. Gerüchte um das Banditentum / Banditismo halten sich hartnäckig.

Gleichzeitig lässt sich trefflich lang drum herum reden. Denn so wahnsinnig gern hat man das Thema auf der Insel nicht. Eigentlich sollen Touristen gar nicht mehr mit der dunklen Seite der Geschichte (die es zweifelsfrei gibt) in Verbindung kommen.

"Rot, schwarz und weiß sind die Farben Sardiniens. Und es sind die Farben des Blutes, der Trauer und der Möwen." Museo Banditismo, Aggius
„(Rot, schwarz und weiß sind die Farben Sardiniens) … aber es sind auch die Farben des Blutes, der Trauer …“ im Museo del Banditismo, Aggius

Der Banditismo wird aber immer wieder hervorgekramt und irgendwann kam auch bei dem schwarzen Schaf dieser Tag, da wurde es zum Thema Sicherheit im Inselinneren gefragt. Es antwortete zunächst nach eigenem Dafürhalten, aber seither hing die Frage im Raum:

Wie war / ist das eigentlich genau mit den Banditen auf Sardinien?

Ehrlich gesagt: Das schwarze Schaf weiß es nicht hundertprozentig. Erst hat es das Internet bemüht, dann ein Buch gekauft, dann ist es losgezockelt und hat einfach mal gefragt. Im Laufe der Wochen kam eines zum anderen.

Nun weiß es zwar mehr als vorher, aber hat es deswegen die Sache durchblickt? Vermutlich nicht.

Was genau ist am Thema »Banditen« so schwer?

Banditen: Wie viel Gerücht, wie viel Wahrheit?

Fangen wir bei den Gerüchten an. Im Supramonte soll sich auch heute noch der ein oder andere Gesetzesflüchtige / Latitante verstecken, der sich der Landschaft übergeben hat / darsi alla macchia.

Ein Versteck im Supramonte oder zu offensichtlich?
Ein Versteck im Supramonte oder zu offensichtlich?

Liest ein Nicht-Sarde oder gar Tourist davon, werden sofort die herkömmlichen Schubladen bemüht:

Da fällt gern mal das Wort vendetta / Blutrache und der Begriff »sardische Mafia« kommt gleich hinterher.

Da ist nicht mal die Wortwahl richtig, weil die Mafia eben eine sizilianische Angelegenheit ist und schon die in Kalabrien anders heißt. Von einer vergleichbaren Organisation auf Sardinien ist nichts bekannt.

Angst macht sich trotzdem breit. Irgendwas muss ja dran sein.

Oder? Die Nachwirkungen der Entführungen und Morde in den Siebziger / Achtziger Jahren (dazu weiter unten mehr) sind jedenfalls bis heute spürbar.

Schlechte Presse ist eben leider beeindruckender als gute. Und einmal ramponiert ist ein Image schwer wieder sauber zu kriegen.

Von der Ahnungslosigkeit ins Archiv

Geben wir aber ruhig erstmal zu: Wir haben eigentlich keine Ahnung. Und Ahnungslosigkeit ist ja so oft der Motor für Angst.

Nun ist Fakten sammeln und sich eine eigene Meinung bilden, tatsächlich nicht so einfach. Erst recht nicht, wenn es um ein heißes Eisen geht.

Klar ist: Informationen aus erster Hand sind selten. Leute, die wirklich Dreck am Stecken haben, reden nicht gern darüber und stehen auch nicht in der Touri-Info rum, um Fragen zu beantworten.

Selbst zweite Hand ist nicht so einfach: In Orten, in denen seit Ewigkeiten nichts passiert ist, hat man keine Lust mehr, darüber zu sprechen. Also behauptet man, gar nichts zu wissen.

Jeder weiß, dass das nicht stimmen kann. Aber wenn ein Sarde nicht reden will, dann will er nicht reden. Boh.

Hilft nur: Ab in die Archive und das Schaf selbst melken.

Einige unterschiedliche Fälle aus der Vergangenheit könnten den dunklen Flecken auf der weißen sardischen Weste sogar erhellen.

Das Bild des »ehrbaren Banditen«

Zu Beginn, etwa ab Mitte des 16. Jahrhunderts, war das kleine Dorf Aggius in der Gallura das Zentrum des Banditismo.

Viehdiebstahl, Brandstiftung, Vandalismus, Schmuggel – aus den dichten Wäldern und wilden Felslandschaften der Gallura brachen Männer zu Raubzügen in die Anglona im Nordwesten auf.

Sie bestahlen die Reichen (= die Feudalherrscher aus Norditalien, die sich die fruchtbaren Ebenen in der Anglona unter den Nagel gerissen hatten) und verteilten es unter den Familien ihres Dorfes.

Aggius: Heute ein richtig niedlicher, schöner Ort. Früher Schauplatz einer Blutrache-Fehde.
Aggius: Heute ein richtig niedlicher, schöner Ort. Früher Schauplatz einer Blutrache-Fehde.

Die damaligen Gesetzeshüter drohten, das ganze Dorf (»scandaloso ricovero … di banditi e facinoros / skandalöser Zufluchtsort … für Banditen und Verbrecher«) platt zu machen.

Die Dorfbewohner dachten naturgemäß anders. Die Männer seien zu Unrecht entehrt, weil es schlicht ums Überleben ging. Die Dorfgemeinschaft funktionierte als Kollektiv und einer sorgte für den anderen. Man überlebte – dank vieler Raubzüge.

Die Banditen galten daher als gute, selbstlose Männer (und waren es vielleicht sogar). Das Dorf versteckte sie vor dem Gesetz, Verschwiegenheit war oberstes Gebot.

Doch hier hört die Geschichte vom »ehrenwerten Banditen«, der wie Robin Hood von den Reichen stiehlt und seine Mitmenschen versorgt, auch schon auf.

Denn irgendwann übertrat man Grenzen, allen voran ein gewisser Sebastiano Tansu – zu ihm gleich mehr.

Bei Mord hört die Not auf. Ein anderes Leben nehmen, und sei es nur, damit man selbst oder die Familie überlebt? Wie könnte es richtig sein, den Wert von Leben gegeneinander abzuwägen?

Sagen wir so: Jemanden umzubringen ist definitiv eine andere Nummer als der Diebstahl von Schafen oder einer Ernte und so gar nicht Robin Hoods Art.

Probleme im Risorgimento

Massive Probleme entstanden in der Zeit des Risorgimento, einer Periode etwa ab 1815 bis zur Einigung Italiens im Jahr 1861 als konstitutionell-parlamentarische Monarchie.

Ein kleiner Auszug aus der Liste gesuchter Mörder (Museo Banditismo Aggius)
Ein kleiner Auszug aus der Liste gesuchter Mörder und anderer Straftäter (Museo Banditismo Aggius)

Sardinien hatte eine Jahrhunderte lange spanische Besatzung hinter sich, unterbrochen nur von einer relativ ruhigen Zeit unter der Selbstverwaltung der Judikate (in der sich die Insel ganz gut machte).

Doch als Teil des Königreiches Sardinien-Piemont wurde Sardinien erneut quasi-kolonialisiert. Mit dem Königreich Italien rissen die alten Wunden des Volkes endgültig wieder auf.

Denn König Vittorio Emanuele I hatte eigene Ideen, wie sein Volk zu leben hatte. Seine Gesetze veränderten die Gesellschaftsordnung massiv – allen voran der Editto delle Chiudende von 1823, mit dem Kollektiv- zu Privatbesitz wurde. Die nomadisch lebenden Hirten verloren ihre Lebensgrundlage.

Die Militärpolizei der Carabinieri trat auf den Plan und setzte die an der Inselwirklichkeit vorbeirauschenden Gesetze mit aller Härte durch.

Hier liegt der Hase im Pfeffer oder weiß-der-Geier-noch-wer begraben: In dem uralten Wunsch der sardischen Bevölkerung nach absoluter Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Und damit einhergehend der Weigerung, von Nicht-Sarden regiert zu werden.

Die Bevölkerung half sich mit (durchaus fragwürdigen) Mitteln selbst und forderte in Aufständen die Unabhängigkeit (wie übrigens auch viele Provinzen auf dem Festland).

In dieser Zeit mehrten sich inselweit die Straftaten und Aufstände von Jahr zu Jahr.

Da viele Sarden schon in den Jahrhunderten zuvor vor ungeliebten Besatzervölkern in das Innere der Insel, das ihnen Schutz bot, geflohen waren, lebte ein Großteil der Aufständischen in der Barbagia. So verfestigte sich das Bild der Barbagia als Hochburg der Banditen.

Richtung Jahrhundertwende, zwischen 1896 und 1898, sollen über 200 Männer als Latitante / Flüchtige in den Bergregionen der Insel gelebt haben.

Barbagia – Land der Banditen?

Viele Carabinieri starben bei der Ausübung ihres Jobs, die meisten im Nuorese. Die Fronten auf beiden Seiten waren verhärtet.

Viele „Barbaricini“ sahen in den Italienern keinen großen Unterschied zu den vorangegangenen und weigerten sich, den neuen Staatsmächten Folge zu leisten.

So berichtet auch der General und Kartograf Alberto La Marmora 1840 von seinen Forschungsreisen im Supramonte, als Einwohner und Hirten aus Orgosolo ihn mit zwölf Gewehren bedroht und ihn gehindert hatten, auch nur einen einzigen Schritt weiter zu gehen:

Nein, einige sehen wirklich nicht sonderlich nett aus ...
Nein, einige sehen wirklich nicht sonderlich nett aus …

»C’è una regione detta Fontanabona, con alcune capanne di pastori, quasi tutti banditi del villaggio di Orgosolo, …. fui ricevuto con più di dodici fucili puntati sulla mia persona, con l’ingiunzione di non fare un passo in più…« 

Zwar machte er sich als Naturforscher um Sardinien in den Folgejahren sehr verdient.

Doch als General und Senator des Königreiches Sardinien-Piemont sorgte er mit seinen Reisen offensichtlich für einigen Unmut in der Bevölkerung. Er kehrte also um und setzte seine Forschungen zunächst anderenorts fort.

Auch heute noch sind viele Sarden bewaffnet – allerdings eher aus Gewohnheit, zur Verteidigung in dunklen, einsamen Regionen oder einfach, um Wildschweine zu (ver)jagen.

Auf das schwarze Schaf hat jedenfalls noch keiner seine Waffe gerichtet.

Also: Hab keine Angst, wenn du kein dekorierter General und auch kein Wildschwein bist und selbst nichts Böses vorhast.

Der stumme Bandit

Schauen wir noch einmal zurück in die Gallura Anfang des 19. Jahrhunderts.

Mitten in den gesellschaftlichen Umbruch wurde 1827 Sebastiano Tansu in Aggius geboren, ein Mann ohne Gehör und Stimme. Als sein Bruder ermordet wurde, brannten ihm die Sicherungen durch.

Angetrieben von Trauer, Hass und Enttäuschung über sein Schicksal, rächte »Lu Mutu«, der Stumme, wie er im Dorf genannt wurde, den Mord an seinem Bruder auf grausame Weise und versteckte sich außerhalb des Dorfes.

Der Granit der Gallura bot beste Verstecke für Tansu
Der Granit der Gallura bot beste Verstecke für Tansu

Damit begann in der Gallura eine üble Serie der Blutrache zwischen drei Familien, in deren Verlauf 70 Menschen starben. Tansu wurde zu einer Art »Auftragskiller« seiner und einer weiteren Familie und kannte keine Gnade.

Er übertrat als erster das ungeschriebene Gesetz, Frauen und Kinder zu verschonen – daher seine Beinamen il Terribile / der Schreckliche und Figlio del Diavolo / Sohn des Teufels.

In einem Monat des Friedens hielt er um die Hand einer jungen Frau aus der befreundeten Familie an. Sie war allerdings einem anderen versprochen und verschmähte ihn.

Erneut enttäuscht vom Leben brach er die Waffenruhe und die Rachemorde begannen von neuem.

Die ganze Geschichte im Detail erzählt der Roman »Il Muto di Gallura« (der Stumme der Gallura) vom Autoren Enrico Costa (nur in italienischer Sprache erhältlich).

Die Rolle der sardischen Frauen

Stimmt schon: Die meisten Banditen waren Männer. Wenn das Schaf allerdings der Erzählung einer Frau aus der Barbagia glauben darf, hatten die sardischen Frauen einen großen Anteil daran, dass das System funktionierte.

Denn ihre Verschwiegenheit war die Basis für die erfolglosen Bemühungen der Staatsgewalt: Keine Mutter verriet ihren Sohn, keine Frau ihren Mann, keine Schwester ihren Bruder, keine Tochter ihren Vater.

Sie schlossen die Fenster und Türen, wenn Carabinieri in das Dorf kamen und öffneten sie erst, wenn sie wieder draußen waren. Sie versteckten Freunde und gruben unter den Häusern Fluchtwege.

So einfach war das.

Satz links im Bild: "Ihr seid in Orgosolo - wo das Volk regiert und die Regierung gehorcht."
Satz links im Bild: „Ihr seid in … Orgosolo – hier regiert das Volk und die Regierung gehorcht.“ – rechts in etwa: „Frauen – Würde und Rebellion“

Und manchmal sollen sie sogar dafür gesorgt haben, dass die Blutrache weiter ging.

Die traditionellen Trauergesänge der Frauen gibt es schon seit Jahrhunderten auf Sardinien. Mit ihnen verarbeitet das Dorf den Schmerz des Verlustes.

Man erzählte uns, dass es in Orgosolo bei Mordfällen einen kleinen, aber bedeutsamen Unterschied gab: In der letzten Strophe sang die nächste (oder älteste) Familienangehörige den Namen desjenigen, an dem der Tod gerächt werden sollte.

Nicht selten floh derjenige dann noch in der gleichen Nacht aus dem Dorf. Manchmal waren diejenigen, die sich in den Bergen versteckten, also auch mögliche Opfer.

Eine ganz andere Geschichte wird uns im Nachbardorf Mamoiada erzählt.

Auch hier hielten die Frauen zusammen – aber nicht zugunsten der Männer, sondern um ihrer selbst willen.

In ihren Gesängen drehte sich alles um den Verlust und dass er nicht durch weiteren Schmerz wieder gut zu machen sei. Sie sangen von Vergebung und in manchen Fällen durchbrachen sie so den unendlichen Fortgang aus Rache und Vergeltung.

Die nächste Frau, die das schwarze Schaf nach dem Thema fragte, winkte ab, ging ins Haus und schloss die Tür.

Unschuld und Willkür

Dass nicht jeder Latitante gleich ein schlechter Mensch ist und auch der Staat manchmal mit Willkür reagierte, erzählt der sardische Film »Banditi a Orgosolo«. 

Erzählt wird die Geschichte vom Schafhirten Michele, der im Supramonte di Orgosolo ungerechtfertigt als Mörder gejagt wird und sich verstecken muss. Sein Leben verändert sich, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort ist und voreilig Schlüsse gezogen werden.

Filmplakat »Banditi a Orgosolo« als Murales
Filmplakat »Banditi a Orgosolo« als Murales (in Orgosolo)

Wer ein bisschen der Sprache nachspüren mag und gleichzeitig etwas über das sardische Banditentum und das harte Leben der Hirten in der Barbagia lernen möchte, sollte sich dieses unter die Haut gehende Werk in Schwarzweiß von Vittorio De Seta ansehen.

Unter den Unschuldigen war auch der Schäfer Bachisio oder Bachis Falconi aus Fonni, auch bandito poeta / der poetische Bandit genannt. 1938 verurteilte man ihn wegen Mordes an einem Carabiniere zu 30 Jahren Haft, trotz dürftiger Beweislage.

Falconi beteuerte stets seine Unschuld, doch auch ihm glaubte niemand. Also floh er aus dem Gefängnis bei Alghero und versteckte sich im Gennargentu.

Der »Bandit« schrieb in der Einsamkeit der Berge 120 leidenschaftliche Gedichte in limba / auf Sardisch, die sich um seine Heimat und Fragen von Schuld und Unschuld drehen. Elf davon widmete er »seinem« Opfer Ferrandu.

Nachzulesen in einem Gedichtband in sardischer Sprache: Il bandito poeta di Fonni (Autoren: Vittorio Gazale, Antonella Peddio).

Der prominenteste Bandit der Insel

Der bekannteste sardische Bandit ist wohl Graziano »Grazianeddu« Mesina aus Orgosolo in der Barbagia, der zweitjüngste von elf Söhnen eines Schäfers.

Bereits mit 14 Jahren wurde er mehrfach wegen kleinerer Delikte (Diebstahl von Schweinen, unerlaubter Waffenbesitz und -gebrauch) verhaftet und wurde in den folgenden Jahren zum Ausbrecherkönig.

Orgosolo: Gestern noch Banditendorf, heute Gastfreundschaft, Natur und Tourismus.
Orgosolo: Gestern Heimat von Banditen, heute Gastfreundschaft, Natur und Tourismus.

1960 die erste Verhaftung wegen versuchten Mordes, dem folgte eine wechselseitige Mordserie der Familien Mesina und Muscau. Einer wurde auf offener Straße, ein weiterer in einer Bar erschossen.

1962, als Mesina gerade mal wieder im Gefängnis saß, wurden die britischen Touristen Edmund und Vera Towley ermordet. Während einer harmlosen Sardinien-Rundreise hatten sie in der Nähe von Orgosolo auf einem Feld gepicknickt.

Der Mord ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Die beste Version geht davon aus, dass die beiden Briten zufällig Zeugen einer Blutrache-Angelegenheit wurden und daher sterben mussten.

Mesina – damals 20 Jahre alt – beteuerte, es nicht gewesen zu sein. Er schrieb damals an die Tageszeitung La Nuova Sardegna: »Ich würde niemals Touristen anrühren. Sie können ohne Angst nach Orgosolo kommen … Ich räche mich nur an denen, die mir Böses angetan haben.« 

1967 wurden Graziano Mesina zusammen mit anderen jungen Männern aus Orgosolo insgesamt 28 Morde, 20 Mordversuche, 16 Entführungen und 22 Raubüberfälle zur Last gelegt. Sieben tote Polizisten sollen auf ihr Konto gehen. Einen Überblick über Graziano Mesinas „Werdegang“ gibt die SPIEGEL-Ausgabe 51 vom 11. Dezember 1967.

Der gerade einsetzende Tourismus auf Sardinien bekam einen mächtigen Dämpfer.

Die Banditen und der Tourismus

Familienfehden sind das Eine. Der krasse Gegensatz aber zwischen dem neuen Luxustourismus der Reichen an der Costa Smeralda und der Armut im Hinterland ließ eine neue Art von Banditen auf den Plan treten: Entführer.

Im Laufe des Jahres 1979 wurden zehn Menschen entführt, darunter der italienische Liedermacher Fabrizio de André und seine Lebensgefährtin. Vier Monate hielt man sie im Supramonte gefangen und ließ sie schließlich körperlich unversehrt gegen ein hohes Lösegeld frei.

Die Weite des Supramonte: Na klar kann man hier jemanden verstecken!
Die Weite des Supramonte: Na klar kann man hier jemanden verstecken!

Fabrizio de André verarbeitet in »Hotel Supramonte« auf dem »l’Indiano« genannten Album seine Entführung musikalisch, aber ohne Groll gegen seine Entführer. Die sardische Autorin Raffaella Saba schrieb ein Buch über seinen Fall und den Banditismus auf ihrer Insel.

Das letzte bekannte Entführungsopfer war Farouk Kassam im Januar 1992. Er war erst sieben Jahre alt, als er  aus der Villa seiner Eltern in Porto Cervo vom Banditen Matteo Boe entführt wurde. Er wurde am linken Ohr vestümmelt und erst im Juli freigelassen. Damit gehört die Entführung zu den längsten und anrüchigsten in der sardischen Geschichte.

Auch sie waren von »ehrenwerten Banditen« natürlich ein mächtiges Stück entfernt.

Und heute?

Das Dorf Orgosolo hat am meisten damit zu tun, sein Image aufzupolieren – und macht das wirklich sehr gut, mit seinen Murales verströmt es eine Friedensbotschaft. Du musst nur mal zum Autunno in Barbagia dorthin fahren, dann denkst du, das mit dem Banditenkram ist alles Quatsch.

Andere Orte im Nuorese oder eben Aggius sind schöne Ausflugs- und Reiseziele wie viele Küstenorte. Und ja, der klassische Banditismo ist vorbei. Heißt nicht, dass es keine Vollpfosten mehr gäbe.

Und wenn du ganz ahnungslos in Lula zum Karneval gehst, kann sein, dass neben dir am Feuer Matteo Boe steht, der den siebenjährigen Farouk Kassan an der Costa Smeralda entführte – und nach 21 Jahren Gefängnis wieder in seinem Heimatdorf lebt.

Auch Mesina lebt noch, zwischendurch soll er sogar als Fremdenführer gearbeitet und Touristen die Gegend, in der er sich versteckte, gezeigt haben. Da bekommt »authentischer Urlaub« eine ganz neue Bedeutung … Und so richtig geläutert war er wohl auch nicht: 2013 wurde er wegen Drogenhandels in großem Stil verhaftet, Ende 2016 zu 30 Jahren Haft verurteilt. Sein Neffe soll sich nach einer Razzia in den Supramonte abgesetzt haben …

In Nuoro sagt man: »La volpe perde il pelo ma non il vizio.« – was soviel heißt wie: Die Katze lässt das Mausen nicht.

Alles beim Alten also? Nun … Woher soll das Schaf das wissen?

Bei allen Versuchen, das komplexe Thema zu verstehen, geht dem schwarzen Schaf eines ganz sicher gegen seine friedliebende Attitüde:

Ist nicht jede Gewalt und jeder Mord zu viel – egal wie nachvollziehbar?

Ist ein »gerechter Mord« nicht ein schwarzer Schimmel, eine gerade Kurve?

Urlaub in der Barbagia? Absolut ja!
Urlaub in der Barbagia? Absolut ja!

Sicher ist: Dunkel war’s, der Mond schien helle …

Am besten bilde dir eine eigene Meinung. Ein guter Anfang ist ein Besuch im Museo del Banditismo in Aggius (und bei der Gelegenheit das schöne Museo Etnografico am besten gleich mitnehmen » www.museodiaggius.it).

Noch besser: Ein Urlaub in der Barbagia. Dort gibt es nämlich die gastfreundlichsten Menschen der Welt.

Vielleicht zeigt das auch dir, wie nett die Einwohner von Orgosolo und Ollolai und Mamoiada und Fonni und Gavoi und all den anderen Orten eigentlich sind und wie unbegründet die Angst vor Banditen ist.

Das pecora nera sinniert derweil weiter.

Über Angst und Vorurteile. Über Gut und Böse. Über schwarze und weiße Schafe …

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