Castello di Balaiana. Castello. Ja nu. Hm. Das Wörterbuch gibt das mit „Burg“ oder gar „Schloss“ wieder.

Wer aber beim Castello di Balaiana auch nur ansatzweise an Versailles, Neuschwanstein, Hohenzollern, Wartburg, Tarasp oder gar die Wiener Hofburg denkt, ist definitiv auf der falschesten aller Fährten.

Suchbild: Castello di Balaiana

Suchbild: Castello di Balaiana

Das schwarze Schaf verrät es am besten gleich: Diese Burg ist – wie viele andere auf Sardinien – klein. Ach was klein. Sie ist geradezu winzig.

Ein miniaturhafter Kasten aus Granitsteinen, mit einem Eingang und drei fensterlosen Zimmern, das Dach zum großen Teil abgetragen. Der Bau sieht gleichzeitig so sauber aus, dass man glauben könnte, seine Überreste stammten nicht aus dem 11. Jahrhundert, sondern aus diesem.

Winzigkeit scheint hier Prinzip zu sein: Hat man beim Nachbargebäude, der Chiesetta San Leonardo, etwa versucht, das kleinste Kirchlein der Insel zu bauen?

Selbst das Wort Kirchlein ist schon fast zu groß für dieses einräumige kleine Haus mit einer Apsis, die man erst bei genauerem Hinsehen erkennt. Man kann hineingehen, die Tür ist nur mit einem Draht verschlossen.

Diese Winzigkeit ist vermutlich auch der Grund, warum man beide Gebäude von der Straße nicht sieht. Sogar während man die etwa 460 Stufen aus Natursteinen hinauf steigt (ja, es sind so viele, plus/minus ein paar), ist die Burg nie im Blick.

Auf geht's ... etwa 460 solcher Felsstufen warten

Auf geht’s … etwa 460 solcher Felsstufen warten

Warum also sich die Anstrengung zumuten und von Straßenniveau die ca. 100 Höhenmeter bis auf 365 Meter über dem Meer überwinden?

Das Schaf kennt gleich mehrere Gründe:

  • Unwissenheit: Fällt für Euch jetzt weg, aber der vorbeistreifende Tourist denkt natürlich: „Castello – super, endlich mal was zu sehen, 100 Meter nach oben kann ja nicht so schwer sein.“
  • Ungläubigkeit: „Was weiß schon so ein Schaf – das wird schon nicht so klein sein!“
  • Fitness: „Die fünf Gänge gestern im Agriturismo … puh, ich brauch Bewegung!“
  • Neugier: „Ob die echt so klein sind? Und was gibt’s da noch?“
  • Spaß: „Klingt nach nem guten Platz für ein Picknick – Wir haben Futter, ne Flasche Wein, Freunde und viel Zeit!“
  • Ausblick: „Moment mal, Gipfelburg? Da kann man doch sicher weit gucken!“

Letzterer ist vermutlich der Beste. Das Castello di Balaiana bei Luogosanto ist eine Gipfelburg erster Klasse.

Will sagen: Sie bietet einen unbeschreiblich schönen Blick über die Gallura.

Die frühe Richterzeit in der Gallura

Castello immer noch nicht zu sehen

Castello immer noch nicht zu sehen

Nur ein kleiner (passend zum kleinen Castello ;)) Sprung zurück in der sardischen Geschichte. Die Burg Balaiana datiert auf das 11. Jahrhundert, Zeit der „iudike“, it. „Giudice“, der Richter auf Sardinien (verwirrenderweise auch Könige genannt, und unter starkem kirchlichem Einfluss stehend).

Zusammen mit dem nahegelegenen Castello di Baldu war sie Residenz des Judikats Gallura. Wobei man sich fragt, wie komfortabel so eine Residenz in einer Dreizimmerwohnung wohl sein mag, aber das macht die Herren und Damen Richter ja irgendwie sympathisch (Kleiner Tipp am Rande: Das Castello di Baldu ist einen Tick größer und auch nicht ganz so mühsam zu erreichen).

Die Richterzeit war tatsächlich eine der wenigen halbweg glücklichen Zeiten der Insel. Merkwürdig für’s Mittelalter, das ja so um 10-1100 in Europa eher als finster galt.

Sardinien im Vergleich dazu eine Insel der Seligen? Naja, man war so zwischen den Stühlen. Man hatte zwar (byzantinische) Besatzer, die wurden aber leider auf See mit den sarazenischen Raubflotten nicht fertig und konnten Sardinien weder nutzen noch schützen. Also gaben die den Stützpunkt auf (inkl. der Städte Tharros, Nora, Cornus).

Und die Sarden? Witterten ihre Chance und errichteten eine eigenverantwortliche Administration in vier Judikaten: Cagliari, Torres, Arborea und Gallura.

Eidechsengarantie: in allen Farben und Formen

Eidechsengarantie: in allen Farben und Formen

Dummerweise belagerten die Sarazenen Südsardinien. Genua und Pisa eilten zur Hilfe – nicht ganz uneigennützig. Und ja, das kostet dann wieder was. Kurz: Der Einfluss des Festlands wuchs (kommt uns irgendwie bekannt vor) und man wollte die Judikate abschaffen.

(Exkurs voraus: Das gelang erst über die folgenden Jahrhunderte, als die Aragonesen, brutal um den strategischen Stützpunkt Sardinien kämpften. Dort, wo notwendig, schufen die Adelsfamilien des Festlandes durch strategische Hochzeiten wieder aus ihrer Sicht „normale Verhältnisse“, an vielen Orten wurde allerdings bis aufs Blut gekämpft und die sardische Bevölkerung unterdrückt. Allein das Judikat Arborea bewahrte seine Unabhängigkeit. Die Sarden lieben ihre Eleonora di Arborea (1347-1404), die sich erfolgreich gegen die brutalen aragonesischen Eroberer zur Wehr setzte. Sie stellte alle damals auf der Insel geltenden Gesetze in sardischer Sprache zusammen und sorgte für das erste verbindliche Gesetzeswerk (es galt bis ins 19. Jahrhundert) der Sarden, die „Carta de Lógu“.)

Auch das Judikat Gallura kämpfte um seine Autonomie. Zwar war es in Nordsardinien halbwegs ruhig, aber Frieden ging trotzdem ein bisschen anders.

Endlich: der Eingang zum Castello Balaiana

Endlich: der Eingang zum Castello Balaiana

Um den Bogen zurück zum Castello zu schließen: Gegen 1065 baute sich König Ubaldo (Baldo, Baldu) das „Castello di re Baldo“ bei Luogosanto. Hauptsächlich als Wohnsitz genutzt, schön versteckt und weit weg von der Westküste gelegen, um vor den sarazenischen Piratenangriffen sicher zu sein.

Aber Mittelalter war eben auch hier kein Kindergarten, und so hat man sich vorsichtshalber auch noch mit den anderen Richtern (hier und da auch Könige genannt) zerstritten. Warum auf Besatzer warten, wenn man sich doch schön selbst zerfleischen kann?

Man luchste z. B. Mariano von Torres Land ab (ein Stück bei Ardara / Oschiri heißt „Canale di Baldu“), wurde dann aber dummerweise von dessen Schwester Georgia besiegt und gefangen genommen.

Auf Baldu folgte Costantino I, der das kleinere Castello di Balaiana als Wehrburg mit gutem Rundumblick auf den Monte San Leonardo baute – den Blick, den wir heute so schätzen.

Den Schulterschluss, den man brauchte um sich gegen die Einflüsse von aussen zur Wehr zu setzen, erreichten die vier Judikate 1146 in einer Art Konzil „Condaghe di S. Maria di Bonarcado“.

Castello di Balaiana heute

Das Castello di Balaiana in seiner ganzen Pracht!

Das Castello di Balaiana in seiner ganzen Pracht!

Klein, aber fein, würden wir sagen.

Die Zeit der Streitereien ist vorbei, und friedlich in der Nebensaison gefällt es dem schwarzen Schaf hier natürlich am besten. Die einmalig schöne Lage lässt es sicher auch noch ein zweites oder drittes Mal hier hinauf steigen (bei Sonne braucht Schaf aber irgendeine Art Kopfbedeckung und Wasser, das ist schon leicht anstrengend).

Vielleicht mal an einem glasklaren Wintertag, wenn zarter Nebel über der Landschaft hängt und sich die Sonne ihren Weg bahnt. Oder zu einem traumhaften Sonnenuntergang im Herbst, wenn die Farben intensiv leuchten.

Aufgreifen möchten wir auch nochmal die Idee, hier zu picknicken – auf den großen Granitfelsen, und kleinen Wiesenflächen die das Castello umgeben, wird man sicher ein lauschiges Plätzchen finden.

Oder ungestört eine Flasche Wein leeren – Achtung, für den Abstieg der 460 Stufen und die anschließende Heimfahrt sind zuviel Promille nicht förderlich …

Weingut Mancini von oben

Weingut Mancini von oben

Die dazu passende Quelle ist gleich unterhalb: Nur ein paar hundert Meter weiter an der Landstraße liegt das richtig hübsche kleine Weingut Mancini.

Man ist zwar nicht ständig auf Besuch eingerichtet, aber von Juni bis September haben sie an festen Tagen „open wineyard“ und nach telefonischer Voranmeldung zeigen sie gern das alte Landhaus („stazzu gallurese“) und serviert Degustationsmenüs.

Oder man macht eine schöne Bike-Tour über die Nebenstraßen des galluresischen Hinterlands und schaut nebenher die Burgen an. Von Bassacutena über Lu Moci bis Luogosanto und weiter gibt es wunderschöne Straßen ohne viel Verkehr. Da düst höchstens mal ein Schwarzschaf-Panda oder der Jeep eines ansässigen Landwirtes durch.

Und wer noch nicht genug von dem Mittelaltergedöhns hat, der findet …

… noch mehr Burgen auf Sardinien

Blick auf die Chiesetta

Blick auf die Chiesetta

Zwar sind viele ähnlich klein und ruinös, aber einige dann doch richtig entzückend und ein hübsches Fotomotiv. Eben, nicht an die Wartburg denken, dann ist alles gut.

Hier eine kleine unvollständige Liste:

  • Castello della Fava – Posada
  • Castello del Goceano – Burgos
  • Castello di Pedres – Olbia
  • Castello di Acquafredda – Siliqua
  • Castello di Iglesias – Iglesias
  • Castello di Sanluri – Sanluri
  • Castello di Marmilla – Las Plassas
  • Castello di Serravalle – Bosa
  • Castello Medusa – Samugheo
  • Castello di Quirra – Villaputzu
  • Castello di Medusa – Lotzorai
  • Castello del Montiferru – Cuglieri
  • Castello Malaspina – Osilo
  • Castello Su Carmene – Oliena
  • Casa Fortezza Marchesi de Silva – Villasor
  • Quartiere Castello, Cagliari
Blick auf die Gallura

Blick auf die Gallura

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