Schafe. Schafe. Schafe. Diese zotteligen (oder nach der Schur auch nicht mehr so zotteligen) Viecher. Aktuell leben auf Sardinien über 4,7 Millionen Schafe. Einwohner hingegen „nur“ 1,6 Millionen. Das sind pro 1.000 Einwohner fast 3.000 Schafe.
Schafe vorm Melken
Zum Vergleich: In Neuseeland sind es 10.400 Schafe auf 1.000 Einwohner. In Deutschland 34 Schafe. In Italien 191 (Quelle: welt-in-zahlen.de / ara.sardegna.it). Wobei ja Schafe eigentlich auch Einwohner sind. Nur eben wollige.
Sardinien ist aber kurioserweise – und das schwarze Schaf hat einige Jahre gebraucht, um den Unterschied zu verstehen – kein Land der Schafe, sondern der Hirten.
Das Hirtentum / pastorismo ist ein untrennbarer Teil von Sardiniens Kultur. Die bis in die Antike reichende Geschichte kennt nomadische und sesshafte Hirten.
Hirte ist auf Sardinien seit Ewigkeiten ein höchst angesehener, ehrbarer Beruf. Überhaupt: Jeder, der ehrlich arbeitet – ob als Bauarbeiter, Putzfrau, Koch oder Unternehmer – wird zutiefst respektiert. Klassenunterschiede sind kaum spürbar.
Das ist wirklich angenehm, im Verglich zum höher-schneller-weiter der nordeuropäischen Karrieregesellschaft.
Auch die Seele des sardischen Volkes ist dem Hirtentum verbunden. Die meisten Familien haben irgendwie mit der Landwirtschaft zu tun.
Aufmerksames Schaf!
Das gilt nicht für alle Bevölkerungsgruppen und Landstriche (wie auch), doch in ihrem kollektiven, historischen Selbstverständnis sind sie sich einig.
Nicht nur viele Traditionen (zum Beispiel im Karneval), sondern auch viele heutige Verhaltensweisen lassen sich mit vor ewigen Zeiten im harten Alltag des Landlebens Erlebtem und Erlittenem erklären.
Hirtenromantik hingegen hat es nie gegeben. Frage einen Schäfer nach seiner Arbeit. Er wird in den meisten Fällen antworten, sie sei molto molto duro / sehr sehr hart. Fragst du dann nach, warum er sie dann macht, antwortet er in der Regel: È una passione / Aus Leidenschaft.
Das Spannungsverhältnis wollen wir uns näher anschauen. Und endlich den Schafen zu ihrem Recht verhelfen, auch mal im Vordergrund zu stehen!
Für einen Einblick in das wirklich wahre Hirten- und Schafsleben bin ich bei einem echten sardischen Schäfer.
Ich erwarte natürlich Schafe. Viele Schafe. Und was ist da? Keins. Kein einziges.
Du musst warten, sagt Franco und sein Vater verzieht sich derweil in den Schatten. Es ist wirklich sehr warm für einen Tag Ende Mai. Die Landschaft ist bereits karg wie im Sommer.
Franco steigt ins Auto und fährt weg. Schafe holt man mit dem Auto ab. Schon klar.
Ja bitte, dann wartet das schwarze Schaf halt. Ich bin ja geduldig.
Vater und Sohn sind Schäfer in Mamoiada. Od vielmehr: Züchter / allevatore des sardischen Schafes / razza sarda … und da die stets weiß sind, ist die Frage nach einem schwarzen Schaf fast ein Frevel.
Das pecora nera stellt sie dem Vater beim obligatorischen Bier trotzdem und wird mit einem dieser wortlosen,sardischen Blicke bedacht. Ok. Verstanden.
Ihre Herde weidet in den Weiten des Berggebietes der Barbagia, irgendwo zwischen Supramonte und Gennargentu. Das Haus mit Stall ist auf 850 Metern über dem Meer, die Weiden noch einen Tick höher.
Jeden Morgen und jeden Abend geht (oder fährt, je nachdem wo die Tiere gerade sind) einer hinauf und holt die Tiere zum Melken. In drei Gruppen weiden die Schafe dort oben, mit jeweils einem Widder. Und ein paar Lämmern.
httpv://youtu.be/TOHY_2YB-6Q
Der Stall, vor dem wir warten, ist gar kein Stall. Vielmehr ein rechteckiger Mehrzweckbau für Aktivitäten rund ums Schaf: Melken, Scheren, Versorgen …
Davor liegt allerlei Zeug, fläzen sich Hunde, stehen Autos.
Alles ist behelfsmäßig. Eine Europalette ist das Tor zum Melkstand. Ein verrostetes Stück Wellblech liegt daneben und wird verwendet, um den Schafen später den Weg zurück abzuschneiden, so dass der einzige Ausweg für sie voraus ist – einzeln in einen dunklen Raum.
Ich erinnere mich an einen Schulausflug zu einer landwirtschaftlichen Ausstellung in Schleswig-Holstein und eine Vorführung von vollautomatischen Hightech-Melkständen. Realitäten könnten nicht weiter voneinander entfernt sein.
Ein Esel grölt von der Wiese. Er kündet von der Rückkehr des Schäfers.
Als ausgesprochene Herdentiere sind Schafe immer irgendwo zwischen kopflos und grenzdebil. Das gilt weltweit. Manchmal auch für schwarze Schafe 😉
Auf Sardinien allerdings scheinen sie noch einen Tick ungzähmter zu sein als zum Beispiel ihre Artgenossen hinterm friesischen Deich.
Ich höre die Tiere, lang bevor sie in Sicht kommen – ihre Glocken schallen über den Hügel … ein wahnsinnig schönes Geräusch.
Franco sagt, ich soll mich erstmal hinter einem Baum verstecken – so als Fremdling. Denn seine Schafe sind furchtbare Angsthasen. Sie laufen vor jedem, der nicht aussieht wie Franco oder sein Vater, davon.
Auch vor wohlmeinenden Wollfreunden.
Man rennt und rennt und rennt …
Dann düst die Herde den Weg hinab Richtung Stall und wir gehen ganz langsam hinter ihnen her – aber nix zu machen: Irgendein Schaf wird panisch und sofort drehen alle durch.
Statt über den freien Sandplatz zu laufen, wählen die Viecher den unbequemen, aber kürzesten Weg durch die Autos, über den Schrott, über Tränken. Sogar Lämmer hüpfen über herumliegenden Schutt. Dass sich keines von ihnen verletzt, ist ein Wunder.
Aber: Man läuft direkt in die Wartezone vor dem Melkstand. Soviel ist klar: Jetzt geht’s ihnen an die Euter. Das scheint besser, als ganz wegzulaufen.
Mir ist das unangenehm – hab ich etwa alles, beziehungsweise alle, durcheinander gebracht? Franco und sein Vater finden das nicht schlimm. Die sind halt so, die Viecher.
Allen, die vor haben, mit ihren Kids mal das sardische Landleben zu beschnuppern und sich in einem Agriturismo mit Schafen einzumieten: Verabschiedet euch direkt von der Vorstellung, dass die Kleinen die Schafe streicheln und lieb haben können.
Sardische Schafe wohnen selten im Streichelzoo. Sie würden sich da auch gar nicht wohlfühlen.
Speziell diese haben in ihrem Leben kaum etwas anderes gesehen als die Leute vom Hof. Basta. Das reicht ihnen dicke.
Schon meine Anwesenheit und die des TV-Teams, das hier eine Dokumentation über Sardinien dreht, irritiert die wolligen Gesellen.
Schwarzes Schaf mitten zwischen den weissen … und huch! im TV!
Dabei wollen wir doch gar nichts von ihnen. Nur gucken. Das scheint einigen der Damen schon zu viel zu sein.
Damen? Ja, sicher. Die Herden bestehen zu 99% aus weiblichen Schafen. Die männlichen Lämmer werden recht schnell geschlachtet – du findest sie als »agnello« auf den Speisekarten sardischer Restaurants.
Auch ich habe am Nachmittag ein Lamm im Arm und esse am nächsten Tag Pasta mit Lammfleisch. Bemerkenswert ist das schon, auch in meinem eigenen Kopf passiert da was. Aber es ist schlicht so, dass zu diesem Beruf auch der Tod von Tieren dazu gehört.
Ich überdenke meinen seit Jahren gehegten Wunsch, eine kleine Schafherde zu halten. Falls jemand eine gute Idee hat, wie das geht, ohne jährlich Lämmer zum Schlachter zu bringen – gern her damit!
Denn selbst wenn du nur Pecorino produzieren willst, geht das nicht ohne Lämmer – ohne sie gibt ein Schaf keine Milch. Das ist einfach so.
Sprich: Deine Herde wächst unweigerlich, ob du willst oder nicht. Und irgendwann sind es so viele, dass du dir überlegen musst, was du mit den ganzen Schafen machst.
Das ist ganz und gar nicht romantisch.
Oben wird gemolken, unten blökt das Lamm
Wie, um mich wieder auf schöne Gedanken zu bringen, kommen ein paar Lämmer und blöken entzückend und laut – denn beim Melken verlieren sie immer den Kontakt zu ihrer Mutter und das weckt den ein oder anderen Beschützerinstinkt …
Schon sehr nett hier oben, auch wenn der Job wirklich harte Arbeit ist. Zwei Stunden sind wir schon hier und es sind noch nicht alle Tiere gemolken. Es ist brüllend heiß, schon Ende Mai. Man macht sich keine Vorstellung. Morgens und abends melken, Zäune ausbessern, Schafe tränken und im Sommer, wenn alles vertrocknet und abgegrast ist, zufüttern, Milch verarbeiten …
Aber wie sagt Franco ja so schön: Wenn du eine Arbeit mit Leidenschaft und Hingabe machst, ist sie leicht. Und, heute sei alles schon viel einfacher, mit Melkmaschinen und Futterstationen.
Sein Vater hätte da noch ganz and Zeiten erlebt, sogar noch auf Wanderschaft. Zum Melken klemmte man sich das Schaf zwischen die Beine und musste mit der Hand melken. Nicht selten haute ein Schaf auch mal ab. Zudem ging das auf den Rücken und die Gesundheit.
Hier oben ist der Wandel der Zeiten kaum spürbar, ich geniesse die Zeit in der Stille und Weite der Landschaft, und verabschiede mich schließlich mit dem Versprechen wiederzukommen.
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