Reisen. Ein lieb gewonnener und fester Bestandteil unseres modernen Lebens. Der Mensch mag nicht in seinen vier Wänden eingesperrt sein. Wir sind von Natur aus neugierig, wollen raus, wir wollen und brauchen den Kontakt mit Menschen, wir wollen etwas erleben und etwas spüren, nämlich das Leben! Das macht das „stay home“ der Corona-Krise auf lange Sicht unmöglich.

Auch die wesentlichen Tourismustrends spiegeln das wider (sicher auch in der Zeitrechnung nach Corona): Wir wollen intensive Erlebnisse, intensive Eindrücke und einzigartige Geschichten, die wir in Socials zeigen und erzählen können. Grundsätzlich stimmt mich das optimistisch: Sobald wir wieder raus dürfen, werden wir wieder reisen wollen. Natürlich muss man auch sagen: Wir haben gerade andere Probleme. Viele Länder müssen erstmal ihre Probleme lösen und die Gesundheit ihrer Bevölkerung sicherstellen, bevor sie wieder Millionen Touristen hereinlassen können. Freizeit-Reisen sind sicher nicht das Wichtigste auf der Welt.

Natürlich ist aber der Tourismus auch ein wichtiger Wirtschaftszweig, und für Sardinien geradezu essenziell. Insofern ist richtig, sich die Situation genau anzusehen und vorwärts zu gehen.

Ein paar Fragen drängen sich auf:

  • Wann wird es so weit sein, dass wir wieder reisen können?
  • Wenn Reisen wieder möglich ist – wird es komplizierter?
  • Werden wir so sorglos reisen wie bisher oder werden wir ängstlicher und vorsichtiger?
  • Welches sind die vielversprechenden Tourismus-Märkte auf Sardinien in den nächsten Jahren?
  • Wenn sich die ganze Welt um uns herum verändert – wie können wir unser Geschäft erneuern und anpassen?
  • Welches wäre das „sardische Konzept“ für den Tourismus in der Zukunft?

Das schwarze Schaf sinniert seit einigen Tagen genau über diese Fragen. Leider hat es keine Glaskugel, mit der es in die Zukunft blicken könnte … oder warte … da war doch eine … ha! Da ist sie!

Schonmal vorab: Ich glaube, eine Lösung wird sein, das „echte“ Sardinien wieder aufzuwerten, und davon profitieren alle einheimischen Betriebe, die hochwertig und nachhaltig arbeiten, das Hinterland und auch weniger frequentierte Regionen. Schauen wir mal.

In diesem Artikel geht es also um mögliche Lösungen, und ich möchte dabei so viel Optimismus wie möglich verbreiten!

Quo vadis, turismo?

Exkurs: Das schwarze Schaf im Exil

Gestattet mir einen kurzen Exkurs zu meiner eigenen Lage: Ich sitze gesund und munter im „Exil“ bei meinen Eltern in Deutschland, weil ich kurz vor dem Lockdown eine Geschäfts-, Gesundheits- und Behördenreise angetreten hatte. Und so bin ich jetzt getrennt von fast allem, was mir lieb ist: Freund, Boot, Hund, Katzen … Sardinien, meine zweite Heimat, in der wir uns eigentlich gerade ein gemeinsames Zuhause bauen … Aber meine Rückkehr ist schon ausgetüftelt und bis es so weit ist, übe ich mich in Geduld. Davon habe ich ne ganze Menge, stelle ich gerade fest.

Und ich kann mich beschäftigen. Der Blog wird aufgeräumt, und ich schreibe an meinem zweiten Sardinien-Buch. Beides gibt mir Hoffnung, und auch wenn das schwarze Schaf nicht raus kann, um neue Dinge zu erleben, so kann es sich doch durch all die schönen vergangenen Reisen wühlen und das veröffentlichen.

Nur im eigentlichen Job ist so rein gar nichts gut. Mit der Tourismus-Branche ist auch mein Business tot: Meine Arbeit speziell im Bereich Incentives, Events und Fachreisen nach Sardinien ist ohne Reisefreiheit und direkten menschlichen Kontakt, ohne die ganzen kleinen und großen Anbieter auf Sardinien nicht ausführbar. Alle Aufträge für 2020 sind storniert, Budgets für Auslandsreisen sind gestrichen, neue Kunden erwarte ich für dieses Jahr nicht: Mein Geschäft 2020 ist am Ende bevor es überhaupt angefangen hat. Uff.

So wie mir geht es auf Sardinien fast allen, mit denen ich zusammenarbeite: Guides, Gastgeber, Schäfer, Weinbauern, Sprachlehrer, Museumsbetreiber, Vercharterer … Wir sind im Tourismus tätig und von ihm abhängig. Was nicht gut ist.

Und auch, wenn wir etwas anderes hoffen, der Grundtenor ist gleich: Tourismus auf Sardinien ist 2020 quasi tot, und danach wird er nicht mehr so sein, wie wir ihn kennen.

Und trotzdem bin ich zuversichtlich! Hmm? Wie geht das?!?

Ich habe die starke Hoffnung, dass sich der Tourismus (nicht nur) auf Sardinien zum Guten verändern wird. Und ich glaube, dass gerade kleine Anbieter und das, was Sardinien im Kern ausmacht – seine ureigenen Werte und Traditionen, die unberührte Natur und ehrliche, leidenschaftliche Arbeit – von dieser Krise profitieren wird.

Das Schöne ist nämlich: Wir sind selbst die Veränderung. Wir können die Realität unserer Zukunft gestalten. Jede Krise ist eine Chance. Vielleicht ruft uns auch irgendwas oder irgendwer auf: Denkt nach! Denkt um! Ändert was!

Zeit für Veränderungen

Veränderungen sind für mich etwas Schönes, etwas Konstruktives. Und wenn die Pandemie unsere Gesellschaft, unsere Arbeit, unser Leben tatsächlich nachhaltig verändert, dann gibt es für mich nur eine Richtung: vorwärts. Mir bleibt akut gar nichts anderes übrig als ein Neuanfang. Und ich habe keine Angst davor.

Mehr denn je braucht Sardinien jetzt Optimismus und Weitblick

Wir müssen vorwärts denken. Oder besser: Vorwärts UM-Denken. Mit Weitblick. Nicht nur Hoffnung haben, sondern eine konkrete Idee entwickeln, was man aus dieser disruptiven Situation macht, und wie man überleben will.

Umdenken ist gar nicht so einfach, und nicht jeder kann das aus sich heraus – speziell nicht, wenn um einen herum tausende Menschen sterben und man Angst vor einem Gesundheitsnotstand hat oder Angst, dass irgendjemand der einem lieb ist, seine Gesundheit oder gar sein Leben einbüßt. Wie soll man da optimistisch sein?

Ich kann euch nur sagen: Es ist der einzige Weg vorwärts.

Das ist na klar mega schwierig. Ich knabbere selbst seit über zwei Wochen an einem Geschäftsmodell, das halbwegs krisenfest ist – und habe den leisen Verdacht, dass „krisenfest“ schon jetzt ein überholtes Wort ist. Was ist denn bitteschön noch „sicher“???

Schauen wir aber mal, was die Zukunft dem Tourismus speziell auf Sardinien bringen könnte …

2020: Bleibt alles anders?

Man muss kein Wirtschaftsweiser sein, um zu sehen, wie die kurzfristige Not die Reisebranche trifft. Es wird gerade auf Sardinien sehr viele Betriebe geben, die das nicht überleben. Familien werden in Not geraten. Da helfen wirklich nur Rücklagen (woher?), Notkredite (wer bekommt sie?) oder Staatshilfen (wer bezahlt die Fantastilliarden, die das kostet? Wir können schonmal ein Endlager für Staatsschulden einrichten, denn ich glaube, das können wir nie zurückzahlen.

Dass das in einem hoch verschuldeten Land wie Italien nicht einfach ist, auch klar. Ich hoffe tatsächlich, dass die EU da eine schnelle Lösung findet. Denn dieses nationale Rumgehühner kann ja auch nicht die Antwort sein.

Kurzfristig beschäftigt uns noch die Gretchenfrage: Wie lang dauert das noch?

Das berühmte „flatten the curve“ bedeutet, dass wir Zeit gewinnen müssen, damit die Gesundheitssysteme das packen können, damit das medizinische Personal nicht zusammenbricht. Das bedeutet logischerweise, dass von dieser Zeit auch noch viel ins Land gehen muss. Das ist keine Sache von Wochen. Und zwar nicht nur bei uns, sondern weltweit, in allen Ländern. Spätestens jetzt sollten wir verstanden haben: Wir sind alle miteinander verbunden. Ob uns das gefällt oder nicht.

Das Robert-Koch-Institut, dessen enorme Arbeit und unaufgeregte Kommunikation ich extrem schätze, spricht nach wie vor vom „Anfang der Epidemie“ und wiederholt täglich, wie wichtig es sei, den Anweisungen zu folgen. Österreichs Bundeskanzler Kurz sagte am 5. April, man könne bald schrittweise zur Normalität zurück kehren. Und hat dann aber das Unerhörte ausgesprochen: „Die Reisefreiheit, wie man sie bisher kannte, werde es nicht geben, solange keine Impfung oder wirksame Medikamente vorhanden seien„.

Ziel ist, in eine Phase zurück zu kehren, in der wir die infizierten Kontakte wieder eindeutig nachvollziehen können. Da kann wieder sowas wie Normalität einkehren, aber nur unter Beibehaltung gewisser Einschränkungen. Das Ganze ist übrigens in diesem Video auf dem Youtube-Kanal „MaiLab“ sehr gut erklärt, schaut es euch bei einer Tasse Kaffee oder Tee an.

Wir reden sicher von Monaten, vielleicht sogar einem Jahr. Und dann wird auch nicht alles sein, wie früher. Das Leben wird sich verändert haben. Und mit ihm das Reisen und der Tourismus. Und da habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht.

Zuerst die schlechte Nachricht: Die Saison 2020 fällt aus, und das Coronavirus beeinflusst sicher auch die nächste Saison.

Die Besucherzahlen werden massiv zurückgehen. Das schwer von der Corona-Pandemie getroffene Italien, und mit ihm Sardinien, kann und wird die Einschränkungen nicht komplett aufheben, und erst recht nicht so schnell, dass die Saison von Null auf Hundert durchstarten könnte. Speziell die Reisebeschränkungen werden bestehen bleiben, Reisen wird deutlich komplizierter.

Ich kann das verstehen. Millionen Touristen herein lassen und der ganze Spuk geht von vorne los? Die Gefahr, das Gesundheitssystem endgültig zum Kollabieren zu bringen, ist viel zu groß. Die Angst im Land ist spürbar. Genauso groß ist Angst vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch.

Das gefällt natürlich den Touristen nicht. Die wollen ihren Sardinien-Urlaub nicht verloren geben. Wer einen Gutschein von den Fähr- oder Fluggesellschaften bekommen hat, will wenn möglich schon auf Mai oder Juni 2020 umbuchen. Manche hoffen auf den Herbst. Die schwarzschafige Glaskugel sieht mit Blick auf den Zeitpunkt schwarz.

Aber darin steckt die gute Nachricht: Der Reise-WILLE ist offensichtlich ungebrochen!

Das wissend, müssen wir uns unbedingt JETZT Gedanken machen, wie wir 1. durch 2020 kommen und 2. wie es danach weiter geht. Das ist schwer, aber nicht unmöglich.

Ich möchte einen positiven Blick in die Zukunft des Tourismus und des Reisens auf Sardinien und auf der Welt werfen.

2021: Zurück in die Zukunft, zu dem was wirklich wichtig ist

Der Tourismus wird weltweit generell zurück gehen. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Im Gegenteil. Qualität statt Quantität ist ein genialer Ansatz, um langfristig gutes Geld zu verdienen.

Ich persönlich fände schön, wenn der Tourist wieder zum „echten“ Reisenden wird. Wenn er ein Reiseziel nicht konsumiert, sondern sich darauf einlässt und es intensiv erlebt. Vielen touristischen Zielen würde tatsächlich die Pause gut tun – ohne Menschen erholt sich die Natur einfach deutlich schneller. Man wird noch mehr „back to the roots“ gehen.

Während das olle Coronavirus ziemlich sicher überlebt, stirbt nach meiner schwarzschafigen Glaskugel als erstes der Massentourismus. Und ehrlich gesagt: Das ist nicht übel! Die Welt hat definitiv größere Probleme, als dass sie nicht mit tausend anderen am Strand feiern und sich räkeln kann. Verträglich waren Massen tatsächlich noch nie.

Überfüllter Strand in Stintino
Strandwahn in der Hauptsaison: nachhaltig geht anders

Der Massentourismus ist zwar kein sardisches Problem, aber es gab zuletzt Tendenzen, die die Insel schon an ihre Grenzen gebracht hat. Seit einiger Zeit sind einzelne Strände wegen Überfüllung geschlossen oder der Zugang beschränkt. Und die Zeichen standen auf Wachstum des Monoproduktes „Sommer-Sonne-Strand-Tourismus“: Die Passagierzahlen sollten allein an den Flughäfen auf 12 Millionen steigen, wenn ich das richtig erinnere. Die Verlängerung der Landebahn in Olbia ist für größere Flugzeuge gedacht, die speziell in den Sommermonaten landen und Strandurlauber auf der Insel ausspucken.

Der klassische Badeurlaub mit seinen Touristendörfern, überfüllten Stränden und Ausflugsbooten mit 200 Leuten ist ziemlich sicher Verlierer der Corona-Krise. Und das sage ich nicht nur, weil ich ein schwarzes Schaf bin, das das Reisen im ganzen Jahr und im Hinterland empfiehlt.

Ich kann mir nämlich vorstellen, dass die Gesellschaft insgesamt ein wenig vorsichtiger und bewusster wird. Drei Wochen am Strand liegen und die Augen vor der Realität verschließen – ich glaube, das ist Schnee, oder Sand von gestern. Auch Handtuchfühlung ist nicht mehr gefragt.

Ich glaube, die Urlauber der Zukunft wollen wieder auf Entdeckungsreise gehen und viel Echtes erleben!

Allein wegen der einschneidenden Erfahrung im Hinterkopf, dass die Reise (und das Leben) jederzeit vorbei sein kann. Also wollen wir unseren Urlaub maximal auskosten! Der Strandurlaub wird natürlich nicht ganz über die Wupper gehen. Wir werden ja auch wieder arbeiten und werden uns dann mit einem chilligen Urlaub belohnen wollen. Aber vielleicht bevorzugen wir dann eben nicht mehr die zwei Wochen am Strand, an dem alle sind, sondern machen eine Rundreise und suchen uns jeden Tag ein neues feines Plätzchen und bekommen täglich neue Eindrücke!

Und das bringt mich zu den möglichen Gewinnern der Krise, die 2021 unter Umständen 20221 eine richtig gute Saison haben werden:

1 – Ökotourismus: ready for take-off!

Der Ökotourismus kann vor allem deshalb gewinnen, weil er in seinem Wesen bereits auf die Zukunft ausgerichtet ist, die Branche noch jung ist und viele Unternehmen in den Startlöchern stehen und weil die touristischen Konzepte gut vorbereitet und fertig sind.

Der Ökotourismus wusste schon lang, dass man nicht so weiter machen kann, dass sich der Tourismus grundlegend verändern muss. Zwar aus einer anderen Motivation – Stichwort Klimawandel, Müll, Umweltverschmutzung, etc – aber man bietet längst Alternativen zum „normalen Strandtourismus“. Von Eselwanderungen, Transhumanz-Trekking, Baumpflanzungen … auch sinnvolle Tätigkeiten im Urlaub wie Cleanups und naturnahes Reisen waren gefragt und werden weiter gefragt sein.

Und das schließt noch eine gute Nachricht für viele kleine Produzenten und Familienbetriebe auf der Insel ein: Ihr könnt mit dem punkten, was ihr direkt vor der Haustür und in eurer DNA habt!

Sardinien ist nicht nur eine Naturschönheit, sondern hat einen enormen Schatz, den es auch so schnell nicht verliert: landwirtschaftliche Erzeugnisse in hochwertiger Qualität, mit Liebe und Leidenschaft hergestellt, von wahnsinnig netten Menschen, bei Kilometer Null! Das sind alles wertvolle Kriterien im Ökotourismus. Und jedes einzelne davon ist echtes Geld wert.

Wie der Ökotourismus hat darum vor allem das Agriturismo-Konzept alles, um gut durchzustarten: mit eigener, gesunder Obst- und Gemüseproduktion, eigenem Tierbestand und einer eigenen Gastronomie mit Hausmacher-Küche echte Asse im Ärmel. Das Prinzip der „Selbstversorgung“ ist eines der krisenfestesten überhaupt – das in ein touristisches Konzept zu verfrachten, Menschen beizubringen, wie sie autark leben können, wie sie Brot backen, wie sie mit den alten Rezepten aus Resten wunderbare Gerichte zaubern – das ist aus meiner Sicht ein mega Markt. Urlaub auf dem Bauernhof, das Leben auf dem Land wird speziell für Familien mit Kindern wieder interessant und wie nie zuvor nachgefragt sein.

Ich habe auch viel Hoffnung für Guides und naturnahe Dienstleistungen, wie Yoga, Wellness, spirituelle Kurse, was weiß ich alles. Für alles, was mit Natur und Wohlbefinden zu tun hat, wird es einen Markt geben. Und das Meer ist ja auch nie weit weg.

Ich möchte den kleinen sardischen Betrieben Mut machen: Ihr seid im Vorteil! Egal wie – Haltet durch! Leckt die Wunden von 2020, aber handelt jetzt! Was kann man tun? Macht euch jetzt Gedanken, wie ihr 2021 arbeiten wollt. Macht jetzt die Konzept-Arbeit, schmiedet jetzt Pläne, etabliert jetzt Kooperationen. Vor allem: kommuniziert jetzt! Erzählt jetzt eure tollen Geschichten von dem Sardinien, das man da draußen sehen soll!

Ziel: Sobald der Tourismus durchstartet, „ready for take-off“ sein.

Noch ein Tipp: Verkauft den Reisenden eure Produkte wenn möglich direkt (online und offline gibt es genügend Mittel und Wege*): Wenn ich sicher weiß, dass jemand höchstpersönlich jeden Morgen aufsteht und seine Schafe melkt, dann gebe ich liebend gern genau diesem Menschen ein paar Euro mehr für seinen Käse. Wenn ich weiß, dass Wein auf unbelasteten, jahrhundertealten Granitböden wächst, dann darf der natürlich mehr kosten. Wenn ich weiß, dass das Fleisch von einem Rind ist, das glücklich und frei im Gennargentu laufen durfte, und nicht aus dem Massen-Mastbetrieb kommt – auf jeden Fall zahle ich dafür das Doppelte! Wir zahlen auch deswegen gern mehr, weil wir Sardinien so gern haben. Ihr müsst es bloß von uns verlangen.

Meine dringende Bitte speziell an die ganz kleinen, handwerklichen und naturnahen Betriebe: Nehmt den Preis, den eure tolle Arbeit wert ist. Nicht mehr, nicht weniger.

Ricotta – mit Leidenschaft handgemacht

2 – Individual- und Aktivurlaub: Luft nach oben

Da gehe ich von mir aus: Da, wo ich machen kann, was mir gefällt, wo ich Land und Leuten nahe komme, authentisch die Kultur erlebe, und nicht auf Horden von anderen Landsleuten treffe, fühle ich mich am wohlsten. Und ich will auch nicht in einer Feriensiedlung oder einem All-inclusive-Hotel eingesperrt sein, sondern das Land entdecken! Und ich will mich bewegen: Meine Trekkingschuhe setzen aktuell schon fast Staub an, und sobald ich kann, gehe ich auf eine ausgedehnte Tour – ich hab hier schon eine Bucket List! Aber die mag ich nicht mit hundert anderen abrocken, sondern lieber mit Freunden oder dem Liebsten.

Der Supramonte marino: eines der besten Ausflugsziele der Insel

Exkursionen und Outdoor-Urlaub wird wieder anziehen, denn diese Reisenden sind mega bewegungshungrig und wollen raus, sie wollen reisen. Sie wollen Abenteuer erleben, wollen sich verausgaben und auf diese Weise innerlich zur Ruhe finden. Für all das ist Sardinien perfekt!

Ich bin mir sicher: Viele suchen schon jetzt ein Nahziel, statt in die Ferne zu schweifen. Sardinien hat ein riesiges Potenzial, genau dieses Nahziel zu sein: in nur zwei, drei Stunden Flugentfernung ist die ganze Vielfalt mit genialen Möglichkeiten zum Trekking, Biken, Klettern etc vorhanden!

Dieser Bewegungsdrang und diese Art von Tourismus könnte auch die bisher weniger frequentierten Regionen aufwerten: Da sind unberührte, wilde Natur und tolle Kletterrouten im Iglesiente, die weiten Wander- und Mountainbikewege im südlichen Gennargentu, der gänzlich untouristische Sarrabus mit wundervollen Wildtierbeständen, das traditionsreiche Nuorese mit tollen archäologischen Stätten …

Reisen wird aber auch das neue Wellness. Zwar hat jeder von uns Sehnsucht nach Gemeinschaft. Aber vielleicht haben wir auch begriffen: macht auch nichts, wenn’s ein bisschen weniger ist. Vielleicht haben wir nach der Enge in der Familie auch das Bedürfnis, allein zu reisen. Zurück zu mir, einfach nur sein und mich mit den wichtigen Dingen im Leben beschäftigen. Vielleicht brauche ich dann einen Guide, der mir alles erklärt, was ich vor mir habe. So oder so: Die Urlaubskonzepte werden sicher individueller.

3 – Luxussegment und Segelreisen: erprobtes Netzwerk

Costa Smeralda von oben: Luxusurlaub und traumhaftes Segelrevier

Sardinien hat mit der Costa Smeralda eines der Top-Ziele weltweit. Sie war ja ursprünglich mal als Rückzugsort für Reiche gedacht, die eben gar nichts dagegen haben, sich abzuschotten. Luxushotels wie das Cala di Volpe haben die „Privacy“ im Blut: Distanz und Diskretion gehören zum Tagesgeschäft. Das Millionärs-Klientel könnte dafür sorgen, dass sich das Luxussegment bereits 2020 wieder erholt (vorausgesetzt, die Häfen und Winterlager werden geöffnet): An Bord einer Megayacht hat man weder etwas mit Massen zu tun und ist selbst mit kleinerer Crew gut versorgt. Das Netzwerk von Yacht-Services an Land ist erprobt, die Insel hat viele Lieferanten für Wein und Gourmetprodukte.

Also, ich seh keinen Grund, warum sich das Luxussegment nicht sofort erholen sollte. Und es ist auch nicht „böse“ das zu hoffen: Die Costa hatte schon immer eine Vorbildfunktion für Qualitätstourismus. Das kann von Vorteil sein. Und vielleicht kann das „echte“ Sardinien endlich mal wirklich davon profitieren:

Sardinien steht für Ursprünglichkeit, Traditionen. Und immer mehr Milliardäre reisen bewusster. Viele bevorzugen jetzt schon den lokalen Cannonau vor dem importierten Château Lafite, und kaufen den Pecorino vom Schäfer, der ihn direkt an die Mole liefert. Aber da geht noch mehr: Oligarch & Co. haben vom wahren Schatz Sardinien keinen blassen Schimmer! Sie können sich alles kaufen, aber wissen nicht, wie wundervoll eine Wein-Degustation in den Hügeln direkt beim Winzer in Mamoiada ist. Wie kurzweilig und unterhaltsam eine Schafschur und das anschließende Fest mit den Schäfern in Luogosanto. Dass sie wahre Exklusivität und Privacy bei einer Wanderung im Gennargentu oder Supramonte finden. Dass handgemachte Teppiche aus Aggius, Ulassai und Samugheo einzigartig sind und sie niemand sonst hat. Dass das Entertainment auf sardischen Dorffesten von jeder Beachparty unerreicht ist. Zeigen wir ihnen doch genau dieses Sardinien!

Hey, Mr Abramovic! No Tiscali, no party!

Der „normale“ Segelurlaub ist natürlich etwas hochpreisiger, dürfte aber auch sofort wieder anziehen. Und er hat sogar Wachstums-Chancen, als Segel-Ökourlaub. Denn segelnd ist man so CO2-neutral wie irgendwas. Und man verbringt viel Zeit in direktem Kontakt mit der Natur. Vielleicht macht man also lieber eine Woche Segelurlaub als drei Wochen Strandurlaub. Kann ich mir gut vorstellen. Die Vorteile muss man dem Landtouristen bloß kommunizieren. Vercharterer werden vielleicht diese neue Klientel für sich entdecken und gezielt Angebote für geskipperte Segeltouren zu Natur, Land und Leuten entwerfen. So oder so: Der Urlauber wird eine wundervolle Zeit vor Sardinien verbringen, ohne Schaden anzurichten, und es birgt auch kein großes gesundheitliches Risiko. Und die Boote sind alle da – sie müssen nur ins Wasser.

Weitere mögliche Gewinner

Campingurlaub und Rundreisen im Wohnmobil sind ja eh unglaublich praktisch, weil man sein Heim immer dabei hat. Sogar eine Quarantäne oder Selbst-Isolierung ist damit möglich – was nicht heißt, dass ich damit rechne, dass sich der Spuk wiederholt. Andererseits haben wir auch gelernt: Man weiß nie, was kommt, und die Freiheit, sich zu bewegen und gleichzeitig immer ein sicheres Refugium zu haben, ist eine der wichtigsten Eigenschaften, gerade in Krisenzeiten.

Auch Kultur- und Studienreisen werden wieder gefragt sein. Die ganzen liebevoll gestalteten, kleinen Museen inselweit bekommen vielleicht die Gäste, die sie verdienen. Vielleicht machen wir auch Sprachurlaub und können so jeden Urlaub ein bisschen näher an Land und Leute kommen.

Archäologie- und andere Fachreisen könnten wieder Und der immense archäologische Schatz an Tausenden von nuraghischen, antiken und spannenden Stätten inselweit wird endlich gewürdigt und aufgewertet. Last but not least: Cleanups (wobei zu hoffen ist, dass ein Rückgang im Tourismus auch ein Rückgang an Müll bedeutet), Umweltaktionen, Kultur- und Kunstprojekte.

Nuraghe Serbissi (bei Osini, im Gennargentu)

Aber vergessen wir nicht, langfristig zu denken. Denn damit sich ein System ändert, müssen vor allem die „Kleinen“ es wollen.

Sardinien braucht jetzt eine Alternative mit Substanz. Wie gesagt, ich glaube, diese Alternative ist schon da.

2022: Aufwertung des „echten“ Sardiniens

Vielleicht ist ganz gut, wenn jetzt nicht alles nach Plan läuft. Wenn auch die wirtschaftlichen Grundgesetze und das große Ganze hinterfragt werden. Und vielleicht ist speziell für Sardinien gut, die heilige Kuh „Tourismus“ zu hinterfragen.

Jeder weiß im Prinzip: Sich von einem Markt abhängig zu machen, ist ein Systemfehler, der über kurz oder lang zurück schlägt.

Die Frage, die man sich Dank des Coronavirus zwangsweise stellen muss, ist gut, um herauszufinden, wie die heilige Kuh krisenfester werden könnte:

Was ist Sardinien ohne Touristen?

Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftszweig Sardiniens, und das darf er auch bleiben. Aber wenn der wegfällt, muss ja etwas übrig bleiben. Was ist das? Was ist Sardiniens Substanz? Was ist der Kern? Was macht Sardinien wirklich aus? Doch sicher nicht acht Wochen Hauptsaison an den Küsten! Eben.

Was ich meine, ist: Es gibt ja auch Länder wie, sagen wir mal, Grönland oder Bhutan. Die haben ganz wenig Tourismus und leben trotzdem gut – jeder mit einem für das Land passenden, ausgewogenen Konzept.

Was wäre das sardische Konzept?

Ausgewogenheit muss her. Ich würde das grob mit „alta qualità, impatto basso“ formulieren: hohe Qualität, die wir auf Sardinien gerade in kleinen Familienbetrieben und im Hinterland finden, umgesetzt in nachhaltigen Tourismuskonzepten für das ganze Jahr.

Ich glaube, es ist eine Rückbesinnung auf ein Leben nah an der Natur. Auf das, was dem Menschen, der Gesellschaft, der Umwelt, der Artenvielfalt, dem sardischen Boden und last but not least dem Leben und dem großen Ganzen gut tut.

Und das weiß Sardinien seit Jahrtausenden! Es ist alles schon da!

Ich kenne so viele Betriebe, die mit Leidenschaft und ausschließlich mit lokalen und hochwertigen Produkten arbeiten. Da macht man keine Kompromisse! Darum ist die Qualität so hoch. Warum zum Geier macht man Kompromisse im Tourismus?

Natürlichkeit und lokale Qualität sind den Sarden extrem wichtig.

Viele Sarden legen Wert auf Natürliches und Hausgemachtes, sie schätzen das Wissen ihrer Alten, sie sind stolz auf ihre uralte nuraghische Kultur, die den Lauf der Jahreszeiten respektiert. Die natürlichen Elemente, ja der ganze sardische Boden ist fast heilig.

Für ein zeitgemäßes Tourismuskonzept, mit dem man auch einer disruptiven Krise gegenüber treten und diese überstehen kann, müssen genau diese Werte und Schätze Sardiniens integriert werden.

Mehr noch: Ein nachhaltiger, authentischer Tourismus darf nicht nur ein „nice to have“ sein, sondern verdient, an die Stelle des Strand- und Küstentourismus zu treten.

Das Zauberwort ist: Aufwertung.

Ein möglicher Schlüssel: Aufwertung des Landlebens und der landwirtschaftlichen Produktion
Wichtig: Aufwertung des Landlebens und der nachhaltigen Landwirtschaft

Ich sehe fünf wesentliche Dinge, die dringend aufgewertet und sowohl auf Sardinien als auch seitens der Touristen deutlich mehr wertgeschätzt werden müssen, um das Potenzial zu heben:

  1. Die Arbeit von Hirten, Handwerkern und Landwirten
  2. Lokale und biologisch produzierte Produkte und nachhaltige Landwirtschaft
  3. Das immense kulturelle und natürliche Erbe der Insel
  4. Das Hinterland, das Inselinnere mit seiner wertvollen Kultur
  5. Die Nebensaison: Frühling, Herbst und Winter

Bedeutet aber: Der Tourismus muss wagen, sich von der Cash Cow „Sommersaison“ zu verabschieden und sie zu melken. Nein, ich meine nicht ganz.

Es geht mir um eine Gleichberechtigung aller Reisemonate und aller Regionen. Die Touristenströme müssen besser auf das ganze Jahr und auf die ganze Insel verteilt sein, und ein entsprechendes Angebot muss geschaffen werden. Das sorgt fast automatisch dafür, dass die Urlauber keinen großen Schaden anrichten können – weder an der Kultur noch an dem Naturerbe, und auch der Gesundheit dürfte das zuträglich sein. Würden all die kleinen, lokalen Produzenten in das touristische Konzept integriert: Wieviel wäre da gewonnen!

Ich glaube auch, die Gesellschaft wird profitieren, wenn junge, engagierte und gut ausgebildete Sarden sich nicht mit Saisonjobs in acht oder zwölf Wochen zufrieden geben müssen. Wenn sie nicht auf Hochtouren Geld verdienen und sich mit Zweit- und Drittjobs durchschlagen müssen, sondern gut und solide über das ganze Jahr arbeiten und leben könnten.

Der erste Schritt ist immer der schwierigste. Aber es ist alles da, um Gutes zu erreichen.

Ob jemand den Mut hat zur Veränderung? Oder will man vielleicht doch lieber alles beim Alten lassen und so weitermachen wie früher?

Die Vergangenheit können wir nicht ändern. Die Gegenwart und diese Krise lehren uns, dass es Dinge gibt, die wir nicht unter Kontrolle haben.

Aber die Zukunft, die haben wir in der Hand. Ich wünsche Sardinien genau das: ganz viel Zuversicht und eine tolle Zukunft!

3 Comments

  1. Silke

    8. April 2020 at 14:43

    Liebes schwarzes Schaf,
    💖DANKE💖
    das hast du so kraftvoll und voller Liebe für diese einzigartige Insel und deren wunderbare Menschen geschrieben.
    Du bist schon seit ich dein erstes Buch (von dir persönlich zugeschickt, wie schön!) verschlang, (m)eine voller Frische sprudelnde Quelle der tollen Tipps und Hinweise, das echte Sardinien kennenzulernen. Und nun machst du soviel Mut für sinnvolle Veränderung und Zuversicht und zeigst den Menschen sogar die Wege auf.
    Du bist genial, bist du wirklich!
    Lichtvolle Grüße, Silke

    Reply
    • pecora nera

      8. April 2020 at 16:09

      Wie lieb von dir – Danke für die Blumen 🙂 Ist mir ein inneres Anliegen, und wenn all die Gedanken, die ich mir gerade selbst mache, auch anderen helfen, bin ich mehr als glücklich!
      Und jetzt widme ich mich wieder meinem zweiten Buch. Glücklicherweise ändern sich die Themen durch Corona nicht, die schwarzschafige Philosophie fühlt sich nur bestätigt 😉
      Liebe Grüße!

      Reply
  2. sigrid

    9. April 2020 at 01:20

    Möchte fast sagen: gut gebrüllt Löwe.
    Ich bewundere deine Sprachgewandheit und deine Fähigkeit, relativ komplizierte Zusammenhänge auf leichthufige Art vorzutragen und zusammenzufassen. (Schon lange 😉 )
    Ich könnte es nie so treffend formulieren, doch du hast mir wirklich direkt aus der Seele gesprochen!

    Auch ich hoffe auf eine Besinnung bei uns Menschen durch diesen großen Superschock durch dieses Virus, das so nett ist, nicht vor politischen, geografischen oder pekunären Grenzen halt zu machen. Es macht uns gleich und klar, das wir am Ende alle „nur“ Menschen sind. Und das wir alle zusammen auf einer Erde leben. Das wir uns verirrt haben auf der Jagd nach Mehr und Schneller. Es sagt STOPP.
    Ich hoffe auf eine Wertebesinnung, durch dieses Ausrufungszeichen der Natur.
    Und darauf, das wir uns mehr Zeit nehmen. Die Augen öffnen für die Dinge am Rande. Die kleinen schönen Begebenheiten. Die Ruhe, Muße und Gelassenheit, die dann auch das andere Sardinien sichtbar macht.
    Das Sardinien, das zum Glück immer da war, da ist und auch bleiben wird: Das Sardinien der Schäfer und Schafe, der Sarden und Traditionen, der uralten Werte und Geschichten. Das Sardinien der herzlichen Begegnungen, der liebevollen Gesten und der großen GASTFREUNDSCHAFT. Das Sardinien, das wir lieben.

    Ich hoffe und baue auf die Kraft der Menschen. Den Erfindungsreichtum und die Liebe zum Leben.
    Wir kommen da durch. Da bin ich sicher und optimistisch. Ich hoffe, mit neuen Ideen und guten Projekten, gut für die Menschen UND für die Natur.
    Sigrid von http://www.o-solemio.de (zur Zeit ohne Anfragen und ohne Einnahmen. Mit viel Zeit zum Nachdenken und strukturieren.)

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