Der Sommer ist im Anmarsch und kündigt sich stürmisch an: Ein kräftiger Maestrale weht, wie zum Beweis, dass er noch da ist und einen geplanten Strandtag ordentlich durcheinanderwirbeln kann. Mare mosso, das Meer ist aufgewühlt.

Oben macht der Wind einen prima Job: Wolken wegschieben – weg mit den Ausläufern der gestrigen Gewitterfront, mit der sich der Mai verabschiedet hat.

Diese morgendliche Unruhe lässt uns wünschen, die Hauptsaison möge diesmal ein bisschen langsamer drehen. Tendenziell ein frommer Wunsch, trotzdem: Wir wollen doppelt so viel sehen und erleben – aber bitte nur halb so schnell.

Doppelt so viel sehen, halb so schnell reisen…

Diesen Wunsch ans Schafuniversum abgeschickt, liegt es nun an uns, der Inselvielfalt Raum zu geben.

Wir haben einen Vorschlag, einen schwarzschafigen Plan für die Entschleunigung in fünf Schritten:

Entschleunigung, Schritt 1: Öffentliche Verkehrsmittel

Ein bisschen gewagt, damit anzufangen, ist es schon. Gerade als Familie oder gar als Pärchen auf Versöhnungstour kann eine Fahrt in sardischen öffentlichen Verkehrsmitteln nach hinten losgehen und zur Tortour werden. Aber: Es ist möglich. Sardinien hat ein ausgedehntes (und im Sommer sogar regelmäßig befahrenes) Streckennetz.

Bahnhof in Tempio Pausania

Das Dumme: Es sind inselweit verschiedene Buslinien. Es gibt weder einheitliche Buspläne, schon gar keine vorher recherchierbaren und wenn doch, stimmen die Zeiten nicht. Und es gibt keine Haltestellen. Die einzige Chance: Fragen. Fragen. Nochmal Fragen. Wenn man das weiß, dann ist Busfahren einfach und auch lustig – und eine tolle Möglichkeit, das Land kennenzulernen.

Wir haben im letzten Jahr das Experiment „Palau – Alghero“ gemacht. Da gehst Du als erstes in Palau in die Stazione Marittima, fragst, wie man nach Alghero kommt und bekommst ein Ticket für den Überlandbus nach Tempio. Kannst gern fragend gucken, aber das stimmt schon – die Dame an der Kasse sagt, dass es da dann weitergeht. Unsicher fragst Du den Busfahrer auch nochmal und der nickt nur. In Tempio wirft er Dich am Bahnhof raus und tatsächlich: Vier weitere Busse und ein Zug, alle in unterschiedliche Richtungen. Weiter, Busfahrer fragen und in den Bus nach Sassari einsteigen. Keine Hektik, keiner bleibt am Bahnhof stehen. In Sassari fragst Du wieder – musst nach vorn laufen, ein neues Ticket kaufen, und dann in den schrummeligen blauen Stadtbus einsteigen. Dem Fahrer sagst Du vorher, dass Du mit möchtest und fährst dann – nachdem Ihr sowieso noch minutenlang auf zehn andere Umsteiger gewartet habt – nach Alghero. Wenn Du zum Flughafen willst, nochmal das gleiche Fragespiel, nur mit einem orangenen Bus.

Dreieinhalb bis vier Stunden (statt zwei, zweieinhalb mit dem Auto), aber deutlich erlebnisreicher! Und der Bus bietet nochmal einen anderen Blick auf die Landschaft. Eine gewisse Gelassenheit hatte man schon oder hat man hier gelernt – und das sardische Verkehrssystem seinen Schrecken verloren.

Entschleunigung, Schritt 2: Camminare, camminare!

Hier sagt man: Camminare, camminare! Das beschreibt so ein Zwischending aus Wandern und Spazierengehen. Man geht vorwärts, kommt gut irgendwo an, sieht aber unterwegs auch nach rechts und links und auf die Details.

Details am Wegesrand

Bei manchen Busverbindungen mag man es kaum glauben, doch zu Fuß ist man noch langsamer. Und sieht mehr. Andere Dinge. Kleinigkeiten. Wichtigkeiten. Der Mensch hat sein ganz natürliches Tempo ja schon fast wieder vergessen. Besonders der Tourist auf Sardinien, der in Mietwagengeschwindigkeit unterwegs ist, fährt an ganz vielen Entdeckungen und schönen Details vorbei. Blüten. Flechten. Felsen. Wandmalereien. Tieren. Das schwarze Schaf meint: Spazierengehen mit Augen auf!

Vor allem trifft man Menschen. Spaziergänger sind ja häufig in dörflichen oder ländlichen Strukturen unterwegs. Kleiner Tipp: Grüßt einfach mal die Leute, die Euch entgegenkommen oder die geselligen alten Herren, die immer so pittoresk vor der Dorfkirche sitzen. Sarden sind auch Italiener, also aufgeschlossene und fröhliche Leute. Und wenn man ihnen ebenso begegnet, entspinnt sich manch lustiges Gespräch.

Und: Ihr seid hier zu Gast. Ein freundliches „Buongiorno“ oder „Buonasera“ (nach der Siesta) hilft weiter und ist allemal besser als ignorant und trampeltierartig (nichts gegen Trampeltiere!) durch das fremde Land zu stiefeln. Bei der Gelegenheit sei allen Reisenden nochmal dieser kleine Artikel über die Sprache ans Herz gelegt.

Entschleunigung, Schritt 3: Stehenbleiben und Nichtstun

Schafe sind Weltmeister im Rumstehen. Wer im Sommer in den Schatten von Bäumen guckt, entdeckt ganze Herden bei ihrer zweitliebsten Beschäftigung nach Grasen. Sie finden, es schadet überhaupt nicht, einfach mal stehen zu bleiben und der Welt beim Dasein zuzugucken. Oder einem Halm beim Wachsen (und wenn er groß genug ist: fressen!). Oder sich von einer Schnecke überholen zu lassen. Einfach mal nichts tun.

Wer nicht gern unter Bäumen steht, der zieht vielleicht Cagliari vor: Nach einem kleinen Stadtrundgang zum Beispiel guckt es sich von dem mittelalterlichen historischen Zentrum ganz wunderbar über die Stadt. Oben auf der Bastione di St. Rémy sieht man nach Osten den Hausberg „Sella del Diavolo“ (Sattel des Teufels). Von der Stadtmauer den Blick geradeaus gerichtet, liegt Afrika. Nur 180 km über Wasser sollen es sein, und doch sieht man es nicht. Am Fuß des Torre dell’Elefante stehend, blickt man Richtung Westen über die Lagune, in der sich unzählige Flamingos sammeln und den Industriehafen von Cagliari, dessen Containerbrücken im Abendlicht einen unglaublichen Charme entwickeln.

Oben auf dem Monte Albo

Stehenbleiben lässt sich – als Kontrastprogramm zur Stadt – auch trefflich auf dem Grat des Monte Albo. Setzt natürlich voraus, erstmal hingewandert zu sein (Camminare, camminare!). Lohnt sich aber auf jeden Fall: Der Panorama-Ausblick von den Hügeln der Gallura bis hinüber zum Meer ist von den fast 1.000 Metern Höhe einfach nur genial (siehe auch Artikel auf pecora-nera „Montalbo ~ Du kennst ihn, ohne ihn zu kennen“).

Noch ein Wort zum Stehenbleiben: Manchmal reicht das nicht. Da kam letztens eine Gruppe Motorradfahrer am Capo Testa an, einem der schönsten Plätze der Gallura, am äußersten Eckchen der Insel. Wenn man schonmal so weit gekommen ist, finden wir, reicht es überhaupt nicht, wenn der Gruppenführer absteigt, von Bike zu Bike geht und aus dem Reiseführer vorliest. Man sei hier am „Capo Tesa“ (Nein! Testa! Das ist hier kein Klebeband!), mit einzigartigen Felsformationen und in den Abendstunden seien die am schönsten. Und weil ja Abend ist, donnert man gleich nach zwei Minuten wieder weg. Mal ehrlich Jungs, da wäre mindestens ein kleines Bierchen an der Bar (Ok, sie hatten heute nur Carlsberg gekühlt, aber manchmal muss man Opfer bringen) und ein kleiner Alkoholabbau-Walk hoch zum Leuchtturm drin gewesen.

Entschleunigung, Schritt 4: Sitzenbleiben

Viel wandern, viel stehen – da tun irgendwann die Füße weh. Beste Therapie – auch im Sinne der Entschleunigung: Hinsetzen. Unsere drei liebsten Plätze zum Sitzenbleiben auf der Insel sind zurzeit diese:

Wildpferde in der Giara di Gesturi

1. Giara di Gesturì: Hier gab es mal, vor einigen Jahren diesen einen wundervollen Moment, den das schwarze Schaf bis heute nicht vergessen hat: Es hatte gerade die Wildpferde angesehen und war wieder auf dem Weg zum Ausgang der Giara. Da es sich nicht verabschieden mochte, setzte es sich noch ein Weilchen auf einen großen Felsen in die Sonne und hörte … rein GAR NICHTS! Nie zuvor war es irgendwo so still und schön. Dann ein ganz leises, ein ganz neues, ganz feines Geräusch: das Getrappel von Eidechsenfüßchen… Versprochen: Da wird einem warm ums Herz und man möchte noch einmal mehr Zeit hier verbringen und das immer wieder hören.

As Piscinas, Baunei

2. As Piscinas in der Hochebene von Baunei: In der heißen Nachmittagssonne ein Träumchen, hier unterhalb der Steineichen zu sitzen. Nach einer ausgedehnten Wanderung (zum Beispiel zur Cala Goloritzè) kann man hier auf moosbewachsenen Felsen sitzen und die Füße in den klaren Wassern der kleinen lagunenartigen Seen baden und herrlich entspannen. Die vielen Tiere (wir sehen Esel, Schweine, Kühe, Schilkröten, Eidechsen, Käfer und Vögel) sorgen für Abwechslung. (Lesetipp auf pecora-nera: „Baunei ~ Friedliches Bergdorf mit Eingang zur Hölle„)

Blick auf Isola Spargi, dahinter Korsika

3. Porto Rafael: In den Abendstunden sitzen wir gern auf einem Aussichtspunkt bei Porto Rafael (Punta Sardega, ganz im Norden, kurz vor Palau). Wir verraten mal nicht, wo dieser spezielle Punkt ist, von dem aus man La Maddalena, Isola Spargi, Korsika und die Isola dei Gabbiani überblicken kann. Den müsst Ihr schon selbst finden. Eine gekühlte Flasche Torbato, Gläser und eine Kamera nicht vergessen. Die Sonnenuntergänge sind der Hammer.

Entschleunigung, Schritt 5: Liegenbleiben

Da gibt es ja Menschen – Sarden genauso wie ausgewanderte Landsleute – die meinen, man brauche das Meer überhaupt nicht, das echte Sardinien sei ja woanders. Das ist nur ein bisschen wahr, die sardische See ist massiv unterschätzt!  Sie ist ein wichtiges Refugium für Liegenbleiber. Entspannung pur! Der Tierarzt verbietet natürlich ausgiebige Sonnenbäder in der Sonne und warnt davor, einzuschlafen. Daher: Sonnencreme und Sonnenschirm mitnehmen.

Ein prima Platz zum Liegenbleiben ist die Cala Spinosa am Capo Testa. Nur ganz wenige Strandplätze und eine kleine Kletterpartie um überhaupt hinunter zu gelangen, halten die Großfamilien mit Krams fern. Das Motto heißt „Der Stein ist mein“ und allein oder zu zweit findet man immer ein kleines Plätzchen, auf dem man sich ausbreiten kann. Reicht dicke aus, um ein Buch zu lesen.

Cala Spinosa – der Stein ist mein!

Für ein Strandschläfchen eignen sich auch die kleineren Buchten an der Endorphin-Tankstelle Costa Smeralda. Die VIPs lassen wir im Cala di Volpe im Pool baden oder durch Porto Cervo stöckeln: Die umliegenden Strände gehören uns. Auch keine Sportler oder Großfamilien in Sicht, die für Hektik sorgen könnten. Bei Romazzino biegen wir zum Spiaggia Liscia ab, Cala Petra Ruia und Cala Razza di Juncu sind unsere Favoriten. Einfach das Auto durch einen staubigen Feldweg mit vielen Schlaglöchern und sich selbst durch die Macchia quälen, dann ist man mit nur noch wenigen anderen direkt da. Vielleicht noch über ein paar Felsen in die nächste kleine Bucht klettern, zack – da ist unser First Class Liegeplatz. Ein paar Segelyachten gucken und ein bisschen träumen macht auch Spaß.

Costa Smeralda für Liegenbleiber

Hauptsaison-Tipp: Fahrt erst gegen 16, 17 Uhr hin, dann mit ner Flasche Wein und ein paar Häppchen im Gepäck. Das ist nicht nur gesünder, um die Zeit sind auch viele schon wieder auf dem Heimweg. Man ist wieder unter sich und kann in aller Ruhe ein paar Stündchen liegen bleiben.

Wer dann immer noch nicht genug hat, kann sich ja in eine der vielen Wellness-Tempel legen, die in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen sind. Eigentlich könnten wir uns mal in einem Artikel um die ganzen Wohlfühl-Oasen kümmern, uns dafür massieren lassen und in den alten Thermen Heilwasser schlürfen… Ob da auch Schafe willkommen sind? Wir werden sehen.

Wir wünschen unseren Lesern einen entschleunigten Sommeranfang!

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