Ein stillgelegtes Bergwerk, ein verlassenes, einst reiches Dorf. Eine lange Serpentine, zuletzt bergab führend, der Handyempfang tendiert gen Null. Und dann Argentiera. Eine Bucht. Eine alte Silber- und Zinkmine. Alte Holzhäuser, Schächte, denen das Edelmetall entnommen wurden. Eine einst lebendige Struktur, die heute unberührt ist.

(Artikel zuerst veröffentlicht 2011, überarbeitet 2024)

Die tosende See direkt neben der ehemals belebten Mine ist eindrückliches Gegenstück der Szenerie, in der doch nichts geschieht. Die Ruhe für die Augen und das Getöse für die Ohren liefern sich ein Duell, das niemand zu gewinnen scheint.

Der französische Schriftsteller Honoré de Balzac besuchte das Städtchen 1838 eher zufällig.

Er ließ sich zu wenig Freudensprüngen hinreißen. Sardinien war damals anders als heute. Und seine Briefe an die Geliebte berichteten von der „tiefen und unheilbaren Misere“ Sardiniens, wenngleich er auch von dem eigentlichen Reichtum der Insel, berichtete. Ein Dilemma, das sich durch die Jahrhunderte der Geschichte zieht.

Was hätte er erst geschrieben, wenn er den Ort so verfallen erlebt hätte, wie wir sie heute erleben?

Silbererz, Zink, Blei und Eisen wurde hier abgebaut. Es wurde als Bergbauort gegründet und nach dem Material benannt: Silber > argento > Argentiera. Das Bergwerk wurde aber bereits in der Römerzeit und im Mittelalter genutzt. Sogar die Genuesen holten das Gestein aus dem Berg.

Die neuzeitliche Nutzung begann 1867 und bis 1963 blieb das Bergwerk in Betrieb.

Seine wohlhabendste Zeit erlebte das Städtchen Argentiera in den vierziger Jahren. Das war aber leider auch die Zeit, in der für den Krieg enorme Mengen Rohstoffe benötigt wurden. Erneut wurde die Lebensgrundlage der Sarden, diesmal für Kriegszwecke, ausgebeutet, ohne dass die Einheimischen nun besonders viel davon gehabt hätten.

Damals lebten hier über 2.000 Menschen, auch die kleine Kirche des Ortes stammt aus dieser Zeit.

Verlassene Aufbereitungsanlagen
Verlassene Aufbereitungsanlagen

Geschlossen wurde die Mine erst 1963 und heute finden sich hier, 40 Kilometer von Sassari, eine kleine Bar und wenige bewohnte Häuser. Kein Supermarkt, keine Bank, keine Tankstelle. Nur zehn, zwanzig Menschen, die mit aller Kraft – und womöglich nostalgischer Landverbundenheit oder weil sie einfach schon immer hier wohnen – die Geisterstadt mehr oder auch weniger lebendig halten.

Der Charme des Gewesenen regt aber die Fantasie an und gibt dem Besucher die Chance, sich seine eigene Geschichte auszudenken.

Eine Mine der Inspiration

Das Kunst- und Architekturprojekt Landworks nutzt diesen „Lost place“ seit vielen Jahren regelmäßig für vergängliche Installationen unter freiem Himmel, aber auch für Ausstellungen.

2019 wurde dann das Museum MAR (Miniera Argentiera) eröffnet – mit dem ehrgeizigen Ziel, das historische Erbe zu sichern und requalifizieren. Und so Besucher mit Kunst, Architektur und der wunderschönen Bergbaulandschaft der Region vertraut zu machen.

Uns kommt in den Sinn, dass die „Künstler von heute“ womöglich lieber an der Costa Smeralda feiern und Ablenkung in Champagner, Beach Partys und Yachten suchen. Weniger als nichts erinnert hier an das schicke Treiben in Porto Cervo. Und wir grübeln, ob wohl auch unter ihnen ein einziges schwarzes Schaf ist, das den Weg hierher findet.

Argentiera liegt in einem schönen Tal direkt am Meer, die alten Aufbereitungsanlagen und den Halden reichen fast bis zum Wasser, am Porto Palmas. Das Meer ist hier stets aufgewühlt, der Wind, die Elemente knabbern an den alten Strukturen.

Cala dell'Argentiera, Porto Palmas
Cala dell’Argentiera, Porto Palmas

Teil des Parco Geominerario in Sardinien

Die Mine Argentiera ist heute geschützt und gehört zum „Parco Geominerario Storico e Ambientale della Sardegna„.

Dabei betrachtet man das Gebiet von Argentiera bis zum Capo Caccia bei Alghero als Gesamtheit – auch ihre nähere Umgebung mit dem Lago Baratz und den Grotten in den Felsen gehören dazu.

Die südlich von Alghero gelegene „Miniera di Calabonia“ ist deutlich kleiner als der Komplex in Argentiera, dort wurden hauptsächlich Zink und Kupfer abgebaut. Die Statue der Wölfin, die als Symbol für und in Rom steht, soll aus dem Kupfer jener Mine geschaffen worden sein.

Verlassene Aufbereitungsanlagen
Verlassene Aufbereitungsanlagen

Der Park fordert alle Sardinienbesucher auf „Metti una miniera nelle tue vacanze“, was in etwa soviel heißt wie: „Besuchen Sie eine Mine während Ihrer Ferien“.

Sardiniens Westküste hat davon eine ganze Menge, zum Beispiel im Iglesiente, aber auch im Landesinneren (z. B. in der Nähe von Lula oder Gadoni) finden sich kleinere Minen. Sie werden den Urlaub auf jeden Fall bereichern. Hier eine Übersichtskarte der Minen in Sardinien.

Ideal für die schwarzen Schafe, die dem Tourismuseinerlei entfliehen wollen.

Noch eine Idee: Frühling und Herbst sind perfekt für einen Ausflug nach Argentiera. Eine großartige Möglichkeit, die Natur und die Historie gleichermaßen zu erleben. Das Meer in Aufruhr ist ein toller Anblick!

Aufgewühltes Meer
Aufgewühltes Meer

Exkurs: Was ist das?

Segelqualle

Ein leuchtend blaues Teilchen wird angespült. Also, genauer: viele Teilchen wurden angespült. Quibelig-quabbelig und riecht nach… Meer. Und was für eine wunderschöne Farbe! Ob wir unsere Wolle damit einfärben können? Aber… Was ist es? Eine kleine Quallenart? Algen? Muschelreste?

Es sind Segelquallen!

Viel Spaß bei einem schwarzschafigen Besuch in einer der schönen Minen Sardiniens!

2 Comments

  1. Klaus Sam

    23. Juli 2016 at 23:49

    Ich bin gerade dabei für Facebook meine Sardinienreise zu bebildern und zu beschreiben. Dabei bin ich auch auf Ihre Seite gestossen. Ich war erst vor kurzem drei Wochen auf Sardinien und eben auch in Argentiera. Und auch wenn ich den Ort nicht ganz so verlassen vorfand, wie Sie es beschreiben, fand ich ihren Text treffend und zitiere daraus.

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    • nicole

      25. Juli 2016 at 08:29

      Das ist ja schön, wenn ein bisschen Leben in den Ort zurückkehrt! Es ist auch schon ein Weilchen her, dass wir da waren, wäre eigentlich mal wieder angesagt 😉 Ja zitieren sie gern, sie können auch gern zu unserem Blog linken – ganz wie sie mögen.

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