„Was riecht denn hier so nach Fisch?“

Als das schwarze Schaf gegen Mitternacht in Olbia ins Taxi steigt, mag der Fahrer es fast gar nicht mitnehmen.

Hm. Ja gut, jetzt wo er es sagt, hängt in jeder Faser der Wolle dieser fiese Geruch von frittiertem Fisch. Vermutlich müffelt halb Olbia danach.

anderboje_IIDenn das kam so: Jedes Jahr Ende Juni gibt es auf dem inneren Hafenbecken an der Via Redipuglia ein tolles Ruderrennen mit alten Olbieser Fischerbooten, die Remata de Sos Carreras. Diese Tradition ist mittlerweile 70 Jahre alt. Es geht um Kraft, um Ausdauer, um Teamwork und um Freundschaft. Und um Boote. Und um Fisch.

Denn anschließend feiert man eben noch in guter alter Tradition ein kleines Fest zu Ehren des San Giovanni und der Madonna del Mare. Unterhalb der Hochstrasse gibt es für einen kleinen Obulus Unmengen von frisch gefangenen und frittierten kleinen Fischen und die wunderbaren Muscheln aus dem Golfo di Olbia.

Wein, Abendessen, Sonnenuntergang, Blick auf die Isola Tavolara und das Meer … was braucht Schaf noch?

Ach ja, das Rennen! Ohne das wär alles nichts.

Remata de Sos Carreras: drei Leute und ein Boot

Was Oxford und Cambridge können, kann Olbia schon lang. Vielleicht sagten sich das 1937 die Olbieser Fischer und traten in einem kleinen Wettstreit der Quartiere gegeneinander an.

2013-istruzioniDrei Ruderer („vogatori“) bewegen das motorlose, etwa vier Meter lange Boot durch das Wasser. Einer stehend mit zwei Rudern, den anderen beiden sitzend an je einem Riemen, zugewandt.

Die Länge der Strecke variiert, zwischen 600 und 750 Meter Weg, das klingt erstmal nicht viel. Und doch ist es Schwerstarbeit. Es kommt auf den Takt an, und darauf im richtigen Moment die ganze Kraft in die Riemen zu legen.

Zwei Markierungen werden umrundet – hier kommt es extrem auf die Technik an, mit der man das schwere Boot um die Boje hievt.

Einige kämpfen sichtlich, um ins Ziel zu gelangen. Anderen scheint es leicht zu gelingen, als führen sie noch immer so täglich in den Golf von Olbia hinaus.

Den ganzen Respekt haben die Damenteams, die an diesem Tag ebenfalls aufs Wasser gehen. Das Ganze ist traditionell eine Männerdomäne.

Aber seit der Neuauflage 2009 befindet sich unter den Organisatoren der Veranstaltung eine Frau, Monica Fois – die Tochter eines Olbieser Bootsbauers, der wiederum die Boote handgefertigt hat. Dazu gleich mehr.

Jedenfalls war nie eine Frage, ob auch Damen teilnehmen können. Der Chancengleichheit wegen tragen sie aber ein eigenes Rennen aus.

Su chiattinu: ein Boot für das Meer

Die Idee, das Rennen wiederzubeleben, hatte also der Bootsbauer Nardino Fois im Jahr 2009.

Und der machte gleich Nägel mit Köpfen und baute sechs schlichte Holzboote nach dem exakten Vorbild früherer Fischerboote. Ihr Name: „su chiattinu“.

vornachdemrennenMit ihnen sind die Fischer aus Olbia in früheren Zeiten hinaus in den Golfo di Olbia gerudert, um küstennah in den flachen Gewässern nach kleinen Fischen und Muscheln zu suchen. Arbeitsboote mit viel Platz für Fisch.

Für Fois war es eine Herzensangelegenheit, die gute alte Bootsbaukunst zu pflegen und die Tradition der alten Quartiere Olbias wieder zu neuem Leben zu erwecken.

Sechs Monate lang baute er in seiner Werft in der Cala Saccaia mit der Hilfe von Schülern sechs vollkommen identische Boote.

Es sind keine flitzenden Rennboote, und auch mit den Ruderachtern von Oxford und Cambridge haben sie so gar nichts gemein. Schwere, klassische Holzboote. So war das damals, so ist das heute, basta.

Für die können sich nun jedes Jahr Teilnehmer aus den alten Stadtvierteln Olbias bewerben.

Sos carreras: die alten Quartiere von Olbia

Die Namen der Quartiere kennt kaum einer: Sa Minda-Poltu Quadu, Tillibas, Gregorio, Sa Rughe, San Paolo, San Nicola, Sa Marinedda, San Simplicio, Rudalza-Porto Rotondo, Sacra Famiglia …

Die Teilnehmer sind nicht in jedem Jahr dieselben. Traditionell waren es die „quartieri dei pescatori“, also die Stadtviertel, die mit dem Hafen und dem Fischerberuf verbunden sind.

Wer nicht aus Olbia kommt, hat aber eh keine Ahnung, wo was ist.

frittierbude-IIImmerhin lernt das Schaf an diesem Abend, dass Poltu Quadu „porto nascosto“, also „versteckter Hafen“ heisst und das Viertel am Golfo interno di Olbia, unterhalb der Hochstrasse gemeint ist, in dem auch das Rennen stattfindet.

Aber die Stadt selbst hat oder hatte ja auch schon viele Namen – Pausania, Terranova, Civita, Olbia.

Welches Schaf soll denn da den Überblick behalten!

Es kann jedenfalls nicht sagen, wer sich hier am meisten anstrengt, hier lässt keiner was liegen. Spannend ist das – und kurz. Die Siegerherren von 2014 schafften die Strecke von 630 Metern in sagenhaften dreieinhalb Minuten.

Gut, dass es mehrere Läufe gibt und danach noch das große Fisch-Happening an der Open-Air-Frittierbude in der Via Redipuglia.

Da sitzt man schließlich mit lauter Einheimischen und guckt auf das Hafenbecken, in der Ferne die Isola Tavolara … und findet Olbia plötzlich richtig schön.

Olbia, die unterschätzte Stadt

Viele finden sie ausgesprochen hässlich und langweilig, die meisten durchfahren sie nur bei Ankunft oder Abreise. So richtig kennenlernen mag Olbia keiner. Dabei ist sie doch das Tor zur Welt und seit jeher ein Dreh- und Angelpunkt.

Die Stadt hat so viele kleine Perlen, nette Weinbars, gute Restaurants, ein Museum zur bewegten Geschichte der Stadt am Eingang zur Isola Bianca, durchaus sehenswürdige antike Bauten: die Basilica di San Simplicio, eine der ältesten und wichtigsten Kirchen auf der ganzen Insel; das Brunnenheiligtum „pozzo sacro di Sa Testa“ an der Straße nach Golfo Aranci; die Gigantengräber „tomba di giganti di Su Monte ‚e s’Abe“ an der Straße nach Loiri; das kleine Castello di Pedres im Süden der Stadt, hinter dem Flughafen gelegen. Und noch so viel mehr!

fisch-muschelnBeim Streifzug durch die Straßen, mal abseits von der Haupt-Einkaufsmeile oder dem Hafen, findet man in der Nähe der Via Torino noch Reste der alten punischen Stadtmauer, und in der Via Principe Umberto die Villa Tamponi, in einem wunderschönen Park gelegen.

Last but not least hat Olbia einen Nuraghen, umgeben von einer grossen Mauer, auf der man wunderbar sitzen kann und mit einem Weltklasseblick die ganze Stadt und den Golf von Olbia bis zur Insel Tavolara erfasst.

Es ist unser Lieblingsplatz, mit Quasi-Einsamkeitsgarantie, weil er wunderbar versteckt und schwer zu erreichen ist. Daher müsst ihr schon selbst herausfinden, wo der ist.

Einfacher ist, sich die Remata de Sos Carreras anzusehen und die Teams anzufeuern, um später weintrunken in einer Duftwolke von frittiertem Fisch nach Hause zu gehen.

Remata de Sos Carreras 2015 – 70 edizione

(Wir bitten die Fotoqualität zu entschuldigen, wir hatten nur unser Handy dabei, als wir eher zufällig in das 2013er Rennen hineinstapften)
[galleria type=“slideshow“ ids=“15513,15512,15511,15510,15509,15508,15507,15506,15505,15504,15503,15502,15501,15500,15499,15498″]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert