Beeehditorial Juni 2016 ‐ Das schwarze Schaf sitzt an große Felsen gelehnt, die Wärme aus dem Stein breitet sich in der Wolle aus. Es knabbert auf einem Grashalm und verbringt die Mittagszeit, in der eh alles geschlossen hat, schläfrig irgendwo an der strada provinciale SP 24 zwischen Padru und Alà dei Sardi. Toll, diese grünen Täler und Hügel die sich vor ihm ausbreiten.

Traumhafte Hügel bei Padru

Traumhafte Hügel bei Padru

Welch Idylle! Die Weite beruhigt das Auge. Zeit. Das Schaf ist etwas müde und hat viel Zeit.

Ein kleines Wolkenfeld zieht durch, der Westwind schiebt es schnell weiter. Ein Tag zum Reimen: Die Sonne scheint Schaf auf den Bauch – das soll sie auch!

Ein friedlicher Platz. Sehr still, sehr bei sich. Die Welt ist schön.

Bis ein deutsches Touristenpaar, etwa Ende Fünfzig, genau hier hält.

Der Dame ist auf dem Beifahrersitz des mitgebrachten SUV übel geworden (und dabei ist die SP 24 eine der harmloseren Straßen auf Sardinien, hoffentlich fahren die nicht in die richtigen Berge …).

Hier könnte sich ein schwarzes Schaf verstecken ... ;)

Hier könnte sich ein schwarzes Schaf verstecken … 😉

Man atmet also durch, stellt sich in Hörentfernung vom Schaf (das weiter unbeeehmerkt hinter seinem Felsen sitzt) hin und blickt auf die selben Täler.

„Jetzt guck dir das an.“ Die Stimme des Mannes klingt, als schüttele er dabei seinen Kopf.

(„Ja, schön, nicht wahr!“ denkt das Schaf.)

„Was denn?!“ fragt die Dame genervt bis vorwurfsvoll. Sie kämpft noch mit sich.

„Diese nutzlosen Landschaften.“

Wiesen bei Alà dei Sardi

Wiesen bei Alà dei Sardi

(„Waaaaas genau meint der Mensch?!“ Das Wolltier ist einigermaßen erstaunt.) 

„Du, ich hab grad andere Sorgen!“ klagt die Dame.

„So viel Land. Wieviel Hektar sind das?“

„Was weiß ich denn.“

„Alles unbebaut! Alles ungenutzt! Kein Wunder, dass die Wirtschaft am Boden ist, wenn die nichts machen.“

„Was soll man hier auch machen.“

(Hm. Ja gut, die klitzekleinen Siedlungen rechts und links der Straße, sie heißen Sozza, Sos Runcos, Sa Serra, Su Tirialzu, haben einen Hauch von „am A… der Heide“. Aber das hier ist doch kein unglücklicher Ort? Manche leben gern auf dem Land … Außerdem sind Olbia und der nächste internationale Flughafen nur eine halbe Stunde entfernt. Für alle Fälle.)  

„Landwirtschaft, Industrie … aber man kann das doch nicht so lassen.“ Der Mann meint das scheinbar ernst.

„Das ist doch nicht dein Problem.“

„Lass uns am besten wieder nach San Teodoro fahren. Hier ist ja nichts und dir wird ja sowieso schlecht.“

Im Abgang grummelt er noch weiter „blabla … man könnte hier … blabla … müsste ja bloß mal einer … blabla … optimieren … blabla“

Die Stimme verliert sich, dann ein Motorengeräusch. Tatsächlich lenkt er den fetten Wagen wieder zurück, dorthin wo sie herkamen. Er wäre besser in die andere Richtung gefahren, aber dazu gleich.

Monte Nieddu

Monte Nieddu

Das schwarze Schaf staunt nicht schlecht. So kann man das also auch sehen: nutzlos.

Der eine setzt sich hin und schaut über Macchia und Felsen, der andere stellt sich hin und sucht einen Sinn darin. So macht jeder, was ihm am besten gefällt. Ob er hier mit Krawatte und Taschenrechner angereist ist? Das schwarze Schaf konnte ihn ja leider nicht sehen, hat aber direkt ein Bild mit Flipcharts und Erfolgskurven in Powerpoint vor Augen, das so überhaupt nicht nach Sardinien und die Stimmung passen will.

Lieber denkt es drüber nach, was der Herr da eigentlich gesagt hat.

Genau genommen ist der Gedanke nämlich eigentlich schön.

Nutzlose Landschaften? Ja bitte! Warum nicht! Mehr davon!

Schafe - sehr nützlich!

Schafe – sehr nützlich!

Denn warum muss immer alles irgendeinen wirtschaftlichen Nutzen haben? Kann nicht auch mal was einfach nur da sein? Zweckfrei? Einfach nur ungestörte Natur sein? Nur für sich selbst, nur für die Bewohner, die es zu schätzen wissen, ob Flora, Fauna oder Mensch?

Aber: Es ist ja auch gar nicht wahr. Nutzlos sind die Täler auf keinen Fall, das bemerkt Mensch natürlich nicht, wenn er nur grob drauf guckt.

Erstmal: Dem Vogel nützt so ein Baum ziemlich. Alle Tiere, die hier leben, freuen sich vermutlich über die schattigen Täler, die im kommenden Sommer Schatten spenden werden, und die vielen kleinen Flussläufe, in denen sie Wasser finden.

Im letzten Jahrhundert war’s hier in der südlichen, der Bassa Gallura noch ein bisschen schöner. Denn von wegen „nutzlos“: Gerade diese Täler wurden vollständig ausgenutzt, für den schlechtesten aller Zwecke. Vom Monte Nieddu bis weit hinter die Monti di Alà haben die Berge für die zwei Weltkriege des letzten Jahrhunderts einen echten Kahlschlag erfahren. Den Namen Monte Nieddu, schwarzer Berg, hatte er wegen der hohen dunklen Tannen bekommen, die hier einst wuchsen und die ihn aus der Nähe und aus der Ferne schwarz und düster wirken ließen. Rotkäppchen hätte sich hier zehnmal verlaufen. Ein richtig alter, gesunder Wald wurde abgeholzt und „benutzt“.

In der Landschaft hat sich nach dem Kahlschlag eine Monokultur entwickelt, die Tannen und anderen hohen Bäume konnten sich nicht wieder durchsetzen, Tiere verschwanden, viele halbhohe Pflanzen im Unterholz wachsen nicht mehr hier. Die Täler haben sich verändert.

Einige (sehr nützliche) Wiederaufforstungsprojekte sorgen wieder für mehr Artenvielfalt. Langsam aber sicher, nach über einem dreiviertel Jahrhundert, erholt sich die Landschaft.

Wiese am Lago Lerno

Wiese am Lago Lerno

Ziel ist dabei nicht die wirtschaftliche Ausnutzung der Natur, das stimmt. Sondern die Bewahrung der wenigen Waldflächen Sardiniens, die die Insel für ihr Klima und ihr Gleichgewicht braucht.

Das ist eine sehr nützliche Angelegenheit und eigentlich sogar noch wichtiger als Profit.

Wäre das Paar weiter ins Innere der Region gefahren, wäre der Wunsch nach „Nutzen“ auf dem Weg noch weiter erfüllt worden:

  • Da ist ein Agriturismo, der Gäste beherbergt und einen eigenen Obst- und Gemüsegarten pflegt, um sie zu bewirten. Das Prinzip „Kilometer Null“ ist eines der sinnvollsten und nachhaltigsten überhaupt. » www.agriturismo-asara.com
  • Da ist eine Fattoria Didattica, die Kindern, Schulklassen und Touristengruppen die Landwirtschaft näher bringt, ihnen erklärt, wie Lebensmittel entstehen und ihnen so grundlegende Werte wie Wertschätzung und Respekt beibringen. » www.agriturismomuzzuolbia.it/azienda/fattoria-didattica
  • Vor Alà dei Sardi die ersten Wiesen mit Kühen und landwirtschaftlich genutzte Felder.
  • Da ist der Marmorsteinbruch kurz vor Alà dei Sardi und mehrere verarbeitende Industriebetriebe, die durchaus auch einen wirtschaftlichen Nutzen im Sinn haben.
  • Da sind die sugherete, die Korkeichenwälder zwischen Alà und Buddosu. Kork ist für viele Dinge nützlich – zum Beispiel als Isoliermaterial oder als Korken auf einer guten Flasche Wein.
Glückliche Kühe bei Ozieri

Glückliche Kühe bei Ozieri

Und da ist ja noch viel mehr, wenn du die Augen aufmachst.

Fährst du von Alà dei Sardi nach Ozieri ist da der extrem nützliche Stausee Lago Lerno bei Pattada, der die Region mit Trinkwasser versorgt. Weinbauern, Olivenhaine, Schafe … oooh, und Schafe sind sehr nützlich!

Wie sinnvoll brach liegende Felder für die Natur und das Land sind, wissen wohl nur noch die alten Landwirte. Und die Bauern auf Sardinien. In Mitteleuropa hat die extensive Nutzung der Flächen bereits alle Nährstoffe aus dem Boden beseitigt, dass nur noch ewig viel Dünger hilft.

Nördlich von Ozieri dann auch endlich für den Herrn die offensichtlich landwirtschaftlich genutzten Flächen, die ihn vermutlich glücklich gemacht hätten: goldene Getreidefelder (hier beginnt auch schon das Logudoro, das Land aus Gold, ein sehr passender Name), grasende Kühe und Schafe …

Strohballen - erster Schnitt

Strohballen – erster Schnitt

Heu und Stroh wurden schon geschnitten, jetzt besteht die Chance auf einen zweiten Schnitt bis zum Winter. Auf einem Feld steht sogar eine große Solaranlage.

Na, wenn das nicht reicht, um als „nützlich“ bezeichnet zu werden.

Alles in allem sind die „nutzlosen Landschaften“ also gar nicht so unbrauchbar, wie man beim bloßen Ansehen glauben mag.

Und wir lernen: Hinter jedem Felsen könnte sich ein schwarzes Schaf verstecken … 😉

 

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