Die schwarze Witwe des Mittelmeers … dömdöm dömdöm dömdöm dömdöm … Na gut, so gefährlich wie der weisse Hai ist sie nicht, aber eine Giftspinne auf Sardinien? Ja, ist denn das mit dem Tourismusverband abgestimmt?!

Spinnengebiet: Isola Mal di Ventre an der mittleren Westküste

Spinnengebiet: Isola Mal di Ventre an der mittleren Westküste

Das Gerücht, das Viech sei ausgestorben, hält sich hartnäckig. Sie lebe allerhöchstens noch auf der abgeschiedenen Isola Mal di Ventre (von sardisch Malu Entu / böser Wind), aber auch dort war sie quasi seit Ewigkeiten nicht angetroffen worden.

Eine Legende sagt, dass Gott aus Liebe zu Sardinien und seinen friedlichen, fleissigen Bewohnern alle tödlichen Tiere von der Insel verbannt hatte. Dummerweise heisst es am Ende, dass sich diese giftige Spinne im Dickicht der Macchia versteckte und überleben konnte, weil sie so klein war.

Worauf die Bewohner der Insel anfingen zu tanzen – aber dazu später mehr.

Jedenfalls hat Latrodectus tredecimguttatus in den letzten Jahren wohl tatsächlich Versteckkünste bewiesen.

2016 wurde sie wieder in der Provinz Oristano gesichtet. Auf besagter Isola Mal di Ventre, aber auch auf der Hauptinsel – am Monte Arci und bei Santa Giusta bestätigten Forstleute und Zoologen der Università di Cagliari die Sichtung von je etwa zehn Exemplaren.

Eine friedliche Giftspinne

Übertriebene Sorge ist unangebracht, denn die Spinne ist gar nicht angriffslustig. Nur wenn sie in Gefahr ist und partout nicht entkommen kann, greift sie zum Äussersten – dem Gift.

Latrodectus Tredecimguttatus - Weibchen

Latrodectus Tridecimguttatus – Weibchen; in Realität nur ca. 1 cm gross (Quelle: Wikipedia)

Ihr Biss wird oft kaum bemerkt, ähnlich wie der einer Mücke und weniger juckend. Erst nach etwa einer halben Stunde treten Schmerzen auf. Durch das neurotoxische Gift können zudem Muskelkrämpfe und -lähmungen im Brust- und Oberschenkelbereich, Fieber sowie Herzrasen und erhöhter Blutdruck ausgelöst werden.

Bei Menschen mit schwachem Immunsystem, Lungen- oder Herzkrankheiten sind Herzinfarkte oder Atemnot mögliche Folgen. Statistisch endet der unbehandelte Verlauf nur bei etwa 5 von 1000 Bissen tödlich. Umkehrschluss: bei 995 von 1000 Fällen geht alles gut. Gute Quote.

Die Spinnen-Damen sehen mit den 13 roten (manchmal auch violetten oder hellgelben) und weiss umrandeten Flecken auf dem etwa 1 cm grossen, klavierlackschwarzen Körper recht beeindruckend aus. Aber ist ja auch eine Art der Schwarzen Witwe, die sind einfach nichts für Arachnophobiker.

Die Männchen sind nur halb so gross, graziler und sie gelten als komplett ungefährlich: ihnen fehlt das Organ, um giftig zu beissen.

Es gibt beide auch in ganz schwarz. Sie werden auch „Malmignatta“ genannt und wiederum gern mit einer (ganz harmlosen) Spinne verwechselt, der Steatoda nera.

Von den Sarden „Argia“ oder auch „S’Arza“ genannt, lebt die Spinne bevorzugt unter Holzhaufen und Steinen sowie in Hütten und unter dem dichten Gestrüpp der Macchia.

Das ist auch der Grund, warum früher fast ausschliesslich Männer, genauer: Hirten, an Spinnenbissen starben. Sie waren oft mehrere Wochen unterwegs und blieben über Nacht draussen in der Campagna mit den Tieren. Wenn man da in einer der Cuiles, den Schutzhütten aus Holz oder im Dickicht schlief, blieb es nicht aus, dass sich eine Spinne ins Hosenbein verirrte.

Latrodectus Tredecimguttatus - Männchen (Quelle: Wikipedia)

Latrodectus Tredecimguttatus – Männchen (Quelle: Wikipedia)

Aus heutiger Sicht ist breite Panik Quatsch – in früheren medizinisch unaufgeklärteren Zeiten sorgte der Spinnenbiss mit seinen Symptomen allerdings für reichlich Aufregung. Man glaubte auch, die Spinne sei die Inkarnation einer schlechten Seele, die in einem früheren Leben die heiligen Sakramente verweigert hatte. Ihr haftet also auch etwas Böses an.

Das führte dann auch zu medizinisch eher fragwürdigen Genesungsritualen.

Einige sagen, Urin helfe als Sofortmassnahme, aber das ist wissenschaftlich nicht bewiesen.

Die nächstbessere Massnahme auch nicht, aber sie ist deutlich unterhaltsamer, als einfach auf den Biss zu pinkeln.

Der Tanz der Giftspinne: Ballo dell’Argia

Man tanzt. Nicht seinen Namen, sondern den Tanz / Ballo dell’Argia.

Mit einem gemeinsamen Fest wurde die tragische Dimension des Vorfalls auf groteske Weise ins Bewusstsein aller gerückt. Ein Sprichwort lautet:

Se si fa festa, se ci si diverte, è proprio perché qualcuno di noi sta male.“ – „Wenn man feiert, wenn man sich amüsiert, dann meistens, weil es einem von uns schlecht geht.“

Ein Spinnenbiss war Angelegenheit des ganzen Dorfes. Denn die Familien halfen und versorgten sich damals gegenseitig mit dem, was gerade erwirtschaftet wurde.

Drohte also der Verlust eines arbeitenden Mannes und Hirten, dann stellte das eine mittelschwere und kollektive Katastrophe dar. Also lag auch dem ganzen Dorf etwas daran, das Leben des Mannes zu retten.

Es gab mindestens eine Frau im Dorf, die bei einem Spinnenbiss geholt wurde und bestimmte, was zu tun war. Der folgende Genesungsritus ist im Detail von Dorf zu Dorf verschieden, aber die Idee ist die gleiche.

Das Mittel der Wahl war also Gesang und Tanz – laut und ausdrucksvoll. Mal rituell, mal chaotisch. Oft ein bisschen wie – Achtung, Spinne! – von der Tarantel gestochen (tatsächlich gibt es bei Neapel einen ganz ähnlichen Ritus bei Tarantelbissen).

7 Jungfrauen, 7 Verheiratete, 7 Witwen

Nun ist das Ganze aber kompliziert. Es gibt ja verschiedenfarbige Argias. Jede Farbe steht für einen anderen Status der Frau in ihrem Leben: Die hellgelb/weiss gefleckte steht für die junge und ledige Frau, die rot gefleckte für die verheiratete und reife Frau, und die ganz schwarze für die trauernde Witwe.

Der Gebissene („Argiato“) wurde also zunächst befragt, welche Art ihn gebissen hatte. Wenn er das denn noch wusste, denn den Biss bemerkt man oft nicht, die Spinne ist dann längst wieder weg.

Ballo dell'Argia - Quelle: Youtube

Ballo dell’Argia – Quelle: Youtube

Aber war das geklärt, war auch klar, welches Kostüm er bekommen würde. Als Frau verkleidet steckte man ihn in einen Sack, aus dem nur noch der Kopf heraussah. Manchmal auch in einen grossen Ofen (natürlich ohne Feuer) oder unter Stroh.

Theater und Tänze

Und um ganz sicher zu gehen, tanzten und sangen gleich jeweils sieben ledige, verheiratete und verwitwete Damen um den Armen.

Manche ganz einfach, als „ballu tundu“, der sardische Rundtanz, um den Kranken herum (zum Beispiel in Macomer, die Geschichte eines Gebissenen und die Genesungsrituale werden in diesem sardischen Film erzählt: Su Ballu ‚e S’arza – Il Ballo Dell’argia“, anzusehen auf Youtube). 

In anderen Dörfern legte man noch eine Schippe drauf, und spielte eine Art Theater:

  • Die sieben ledigen Mädchen stellten pantomimisch ihre erste Liebe dar, romantisch und erotisch, die Szene endete mit der Hochzeit oder Hochzeitsnacht.
  • Die sieben verheirateter, reifen Frauen besangen ihr tägliches Leben, meist als schwangere Frau in den Wehen, die die Schmerzen der Geburt nachahmte und schliesslich eine Stoffpuppe in den Armen hielt.
  • Die sieben Witwen trugen das schwarze Kleid der Trauer: ihre Klagelieder waren irgendwo zwischen erhaben und tragisch.

Wurde jemand von einer nicht ausgewachsenen Spinne gebissen, sangen die Frauen Wiegenlieder.

Manch ein Fest schweifte wohl etwas aus …  Quelle: argiadidonato.it

In vielen Darstellungen kommt auch noch eine reiche Argia vor, die ein aufwändiges Kleid und Schmuck trägt (manchmal ist das die Frau, die für die Heilung gerufen wurde). Sie besitzt ein Pferd und ein Gefolge (auch das  Pantomimen). Sie wird gebildet und edel dargestellt, als käme sie aus einem fernen Land.

War man sich nicht sicher, welche Argia gebissen hatte, dauerte das Ritual drei Tage lang – am ersten Tag tanzten die Witwen, am zweiten die Verheirateten und am dritten die Jungfrauen.

Manchmal gab es z. B. keine sieben Jungfrauen in einem Dorf. Dann waren auch drei ausreichend – diese mussten aber wiederum den gleichen Taufnamen tragen. Dann kamen eben die Töchter anderer Dörfer zu Hilfe und das Fest wurde noch grösser.

Ausschweifend und mitleidig zugleich. Die Männer rannten meist aufgeregt umher, musizierten und betranken sich – weil sie nichts tun dürfen und können.

So nahm das Fest oft einen sehr grotesken Verlauf; obszöne Bewegungen, Geräusche und Scherze der Teilnehmer sowie auch die Darstellung von Besessenen gehörten dazu.

Die Frauen hatten alle Mühe, für Ordnung zu sorgen.

Der arme Gebissene liess das alles um sich herum geschehen – was blieb ihm mit dem Nervengift im Körper und im Sack auch anderes übrig?!

Man glaubt, je intensiver und schräger die Wiegen-, Klage- und Liebeslieder, je kostbarer und schöner die Kleider, je bunter die Schals, je vielseitiger das gesamte Repertoire – desto effektiver wird der Heilungsprozess unterstützt.

Und: Vor allem sollte es fröhlich und amüsant sein.

Denn wenn sich das erste schwache Lächeln auf dem Gesicht des „Argiato“ zeigte, war das das Zeichen der Heilung. Die Lebensfreude und der Lebenswille kehrten zurück. Er starb nicht und alles wurde wieder gut.

Und damit kennen die alten Sarden das vielleicht beste Gegengift, das es gibt: Lachen.

Quellen:

 

2 Comments

  1. sigrid

    17. Juli 2015 at 12:39

    na da bin ich aber froh, dass du das nochmal umgeschrieben hast, liebes schaf.
    beim 1. lesen gestern hab ich mich über deine überschrift erschrocken, jetzt ist sie lustiger… sagt ehemalige spinnenfobikerin sigrid ;-).
    ich komm inzwischen gut klar mit den „biestern“. interessant, was du darüber schreibst…
    .nur an einem satz stoß ich mich noch: “ Auch sind nur die Damen richtig gefährlich ….“ – bis man weitergelesen hat, spuken seltsame Bilder durch den Kopf… oder ist das erwünscht 😉 ?
    Ich würde „Auch sind nur die Spinnen-Damen richtig gefährlich “ schreiben.

    Spanndend, danke! Verlinken tu ich das aber lieber nicht… Ich seh schon die Stornowelle vor meinem inneren Auge, wo sich doch schon die gefährlichen Damen tummeln: oh Giftspinnen au fder Insel… nein, dann wollen wir da nicht hin….

    Aber… ist ja nur mein inneres Auge. In Wirklichkeit hab ich vernunftbegabte Gäste, die ruhig und besonnen sind,offen und tolerant, neugierig auf alles Neue.

    Schönen Sommer !

    Reply
    • nicole

      17. Juli 2015 at 12:51

      Ja, gestern im Wahn etwas verfrüht auf „Veröffentlichen“ gedrückt 😉
      Ich finde, Leser dürfen sich mal erschrecken – das hilft beim Nachdenken, was ja nicht das schlechteste ist.
      Bin nullkommagarkein Spinnenfan, aber hier bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich an Insekten zu gewöhnen. Das Schaf trabt weiter durchs Gestrüpp 🙂
      Dir auch einen tollen Sommer!
      Bööööh!

      PS. Australien ist voll von tödlichen Viechern und trotzdem Top-Reiseziel … don’t worry 😉

      Reply

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert