Carloforte, das können wir vorausschicken, ist eigen. Die einzige Stadt auf der im Südwesten liegenden „Insel vor der Insel“, Isola San Pietro, hat sich eine ganz eigene, fast fremde Welt bewahrt. Wenn man Ligurien und Tunesien denn als fremd bezeichnen möchte.
Das, was Sardinien im Großen schafft – durch die Insellage seine Ursprünglichkeit, Kultur, Selbstbewusstsein und Identität zu schützen – bekommt San Pietro im Kleinen mit einer gleichfalls beeindruckenden Vielfalt hin.
Eigenartig im besten Wortsinn ist die Stadt: Sie verbreitet ligurisches Flair und ein Gefühl von dolce vita.
Zu allererst behaupten die Einwohner Carlofortes, keine Sarden zu sein. Und das ist gar nicht so falsch, denn die ersten Inselbewohner lebten nie auf der Hauptinsel Sardinien. Es waren Einwohner Genuas, aus dem Stadtteil Pegli, gelegen im Westen der ligurischen Hafenstadt.
Doch sie nahmen einen kleinen Umweg: Die Genueser Familie Lomelli, im Dauerstreit mit der Familie Doria und daher stets auf der Suche nach Handelsplätzen außerhalb Liguriens, erwarb und vergab auf der zu Tunesien gehörenden Insel Tabarka Lizenzen zum Korallenfischen.
300 Familien aus Pegli nahmen im Jahr 1542 diese Gelegenheit wahr und siedelten auf die nicht einmal einen Quadratkilometer große Insel über. Dort blieben sie gut zwei Jahrhunderte – dann war Tabarka übervölkert (sogar Ehen unter den Einwohnern wurden verboten) und die Korallen waren ausgebeutet.
Zu dieser Zeit, um das Jahr 1735, rief der italienische König Carlo Emanuele III zur Besiedelung der sardischen Küsten, unter anderem auch der Insel San Pietro, auf, um Sardinien besser vor Piratenangriffen zu schützen.
Nachdem ein hochrangiger Abgesandter aus Tabarka, Agostino Tagliafico, San Pietro untersucht und als neue Heimat für gut befunden hatte, verließen 379 Einwohner das tunesische Eiland und zogen in die neu gegründete Stadt Carloforte – so genannt zu Ehren des Königs; die Bewohner nannten sie in ihrem Dialekt schlicht „U Pàize“, das Dorf. Weitere 83 Personen kamen direkt aus Genua ebenfalls auf die Insel San Pietro.
Die Isolation der Liguren begünstigte die Entwicklung eines eigenen Dialektes, des Tabarchino (gesprochen: Tabarkino).
Dieser geht auf eine im 16. Jahrhundert in Genua gesprochenen lokalen Dialekt zurück, der sich wegen des regen Handels mit Norditalien zunächst wie die Sprache dort weiterentwickelte und auf San Pietro quasi „konserviert“ wurde.
Was uns aus den deutschen Sprachräumen bekannt und vielleicht lustig vorkommt: Der ligurische Dialekt verwendet die Umlaute ä, ö und ü – im Italienischen sonst ja äußerst unüblich – sowie die im Französischen vorzufindenden Akzente (z. B. ê).
Vom Tunesischen, Nordafrikanischen oder Arabischen merkt man hingegen nicht so richtig viel – die Frage, warum der Dialekt also Tabarkino heißt, ist berechtigt.
Vielleicht, weil in der Kultur und im täglichen Stadtleben Carlofortes sehr wohl einige tunesische Einflüsse auf die genuesische Kultur spürbar sind – vor allem beim Essen: Die Namen der Gerichte oder Zutaten erinnern an Nordafrika: das „casc-cà“ stammt vom tunesischen „Cus-Cus“, uns besser bekannt als Couscous; die „facussa“ (in Tunesien: „faguss“) ist eine süße Gurke, die heute noch auf San Pietro angebaut wird.
Wie auch immer, 80 Prozent der Einwohner Carlofortes sprechen das Tabarkino, und die Straßennamen und Schilder von Geschäften oder Sehenswürdigkeiten geben einen kleinen Einblick, wie die Sprache funktioniert.
Überhaupt, die Straßenschilder im Stadtzentrum sind durchaus eine Erwähnung wert, denn bereits hierauf beginnt der Einblick in Kultur und Geschichte.
Sie sind aus glasierter Keramik mit schöner Typografie, und enthalten neben dem Straßen- und Stadtteilnamen auch ein Zeichen für das jeweilige historische Quartier, in dem man sich gerade befindet.
Die tabarkinischen Namen der sogenannten „rioni“, der Stadtteile, helfen, sich zurecht zu finden und die kleine Hafenstadt schlendernd zu entdecken.
Man geht dabei vielfach auf sehr alten, mit runden Steinen gelegten Wegen, die „carruggi“ (auch „vicoletti“ genannt), die bis hinauf zur Stadtmauer „Mura di Cinta“ führen.
Cassinèe: Das Wort stammt von „calcinaie“, was buchstäblich „Kalk“ bedeutet und wohl den Kalk bezeichnet, mit dem die Festung gebaut wurde. Daher nennt man den Stadtteil auch Castello. Das Symbol auf dem Schild zeigt Körbe, mit denen dieser hinauf zur Festung getragen worden sein könnte.
Màina: bedeutet „la Marina“, und bezeichnet das Hafenviertel. Unter den Palmen treffen sich Menschen zu einem Plausch, helle Häuser mit großen Fenstern und mit viel Platz vor dem heute weitläufigen Hafenbecken – das ist das Bild, das sich dem Reisenden hier bietet. Ein wenig erinnert die Architektur tatsächlich an die von ligurischen Hafenstädten, wie Santa Margerita oder eben Pegli.
Cassébba: stammt vom arabischen „Qasba“, was Stadt, Dorf oder Burg bedeutet. Eine kleine rote Koralle ziert das Straßenschild – eine Remineszenz an die tunesische Vergangenheit als Korallenfischer. Dieser Teil der Stadt beherbergt die Kirche San Carlo Borromeo und wird von einigen daher auch „San Carlo“ genannt.
Darsennetta: bezeichnet einen „kleinen, salzhaltigen Schutzhafen“, dort, wo die heutige Piazza Pegli ist. Vielleicht wurden hier auch Muscheln angespült oder gar gezüchtet, denn ihr Bild findet sich zur Zierde auf den Straßenschildern.
Neben den historischen Vierteln, finden sich auf den Schildern noch andere Orte oder markante Teile der Stadt:
So sagte man uns, dass z. B. Gurfa („ghorfa“) eigentlich Straßenzüge bezeichnete, in denen Getreide wuchs – auf den Schildern ist allerdings ein Tunfisch zu sehen. E Fontann-e (Le Fontane) deutet darauf hin, dass hier die Wasserquellen der Stadt waren. Purtetta („protetta“), beschreibt die besonders geschützte Lage der Häuser dieses Stadtteils, die vielfach über Treppen erreichbar sind. Sc-tagnu bedeutet „Stagno“ und meint das Quartier in Richtung der Salinen. Und Sutt‘ à-u Casc-téllu bedeutet mehr oder weniger „sotto il castello / unter der Burg“.
San Pê (San Pietro) ist der ist der ligurische Name für die gesamte Insel, aber auch eines Stadtteils, nach dem Heiligen benannt, der in einem Sturm auf der Fahrt von Afrika nach Rom hier gestrandet sein soll.
Wir wollen es zunächst dabei belassen und die Entdeckung der zahlreichen Sehenswürdigkeiten von der alten Stadtmauer hinunter bis zum alten Fischerhafen dem Reisenden selbst überlassen. Man kann in Carloforte viel Zeit schlendernd verbringen.
Rechnet auch damit, bleiben zu wollen. Wenn Ihr nach dem städtischen Streifzug mit Carloforte fertig seid, gibt es auf der Insel selbst noch so viel schöne Natur zu entdecken, die geradezu danach ruft, Euch für ein Weilchen da zu behalten. Trekking, Reiten, Biken, Bootsausflüge: alles möglich.
Wir nehmen uns die Salinen südlich der Stadt vor und streifen ein, zwei Stündchen zwischen Industrieromantik und Flamingos durch die Szenerie.
Die Einrichtungen für den Tunfischfang an der Nordspitze der Insel und der vorgelagerten Isola Piana sowie die Salinen im Süden Carlofortes mit ihren Flamingokolonien sind beide sehenswert.
Wenn Ihr nicht die absolute Ruhe sucht und in der tiefsten Nebensaison schwarze Schafe treffen wollt, dann reist Ihr zu einem der vier Hauptfeste auf die Insel und bleibt ein paar Tage:
Weitere Informationen über Carloforte und San Pietro, sowie Quellenangaben:
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Tamara
10. Oktober 2022 at 22:51Hallo liebes schwarzes Schaf, wir finden deinen Blog super, sind gerade auf San Pietro und waren gerade im l’Oasia essen und meinen Geburtstag feiern! Wir übernachten im Valu, was ich sehr empfehlen kann, sowas von schön! Viele liebe Grüße, Tamara
pecora nera
11. Oktober 2022 at 13:37Oh wie schön, vielen Dank für das Feedback! Noch weiterhin einen schönen Urlaub und herzlichen Glückwunsch!
LG Nicole.