Der Drache Tavolara schlummert am nördlichen Tor zur Insel Sardinien. Sein zackiger Rücken hebt sich eindrucksvoll aus dem Meer. Die Drachennase ist gen Nordosten gerichtet.

Isola Tavolara - wie ein schlafender Drache
Isola Tavolara – wie ein schlafender Drache

Jedes der in Olbia ankommenden Schiffe – ob Fähre oder Frachter – muss an der Isola Tavolara vorbei und keines entgeht dem nur scheinbar schlafenden Drachen. Auch er selbst entgeht niemandem. Denn er ist ganz schön beeindruckend.

Isola Tavolara – ein Kletter- und Badeparadies

Selbst für einen Drachen ist Tavolara wirklich sehr groß: sechs Kilometer lang, einen Kilometer breit und der höchste Punkt, Punta Cannone, misst stolze 564 Meter. Kletterer und Wanderer werden hier mit einem der schönsten Blicke über Sardinien und das Tyrrhenische Meer belohnt.

Die Isola Tavolara. Wer hier bei guter Sicht von Meerseite anfliegt und auf der linken Seite einen Fensterplatz im Flieger ergattert hat, erkennt schon an der ungewöhnlichen Silhouette, dass dies keine Insel wie jede andere ist.

In Zeiten unregelmäßigen Wetters legt sich manchmal eine Wolkendecke genau über seinen Rücken. Das kündet von Regen auf dem Insel-Festland. Tavolara setzt seine Mütze auf, sagen die Einheimischen. Und der Drache macht es sich gemütlich in seinem Meer.

Legt sich eine Wolke wie ein Bettuch über die Insel, ändert sich das Wetter
Legt sich eine Wolke wie ein Bettuch über die Insel, ändert sich das Wetter

Der Drache mit einem massiven Körper, unten aus Granit, oben mit einer Kuppe aus Dolomit-Kalksandstein schläft friedlich. Sicher, ein Auge ist immer offen …

Anreise per Schiff – vorbei an der Isola Tavolara

Der Reisende nähert sich seiner Oberfläche stets per Schiff – ob per Ausflugsboot ab Porto San Paolo, mit einem gemieteten Schlauch- oder Motorboot, per Charteryacht oder eigenem (Segel-)Boot.

Die steil aufragende Insel im Rücken, das kristallklare Wasser unter dem Kiel – Tavolara gehört sicher zu den schönsten Ankerplätzen im Mittelmeer. Auch als Tauch- und Schnorchelgebiet ist es beliebt.

Als Naturschutzgebiet „Area Marina Protetta Isola Tavolara e Punta Coda Cavallo“ ist hier aber genau reguliert, wo der Anker sich in den Meeresboden graben darf – und wo nicht. Mehr Infos in unserem Artikel über die Meeresschutzgebiete rund Sardinien.

Segeln vor der Isola Tavolara
Segeln vor der Isola Tavolara

Vom Massentourismus ist die Insel verschont. Behutsam werden in der Hauptsaison von Porto San Paolo aus nur etwa fünf bis zehn Schiffe gestartet, die jeweils maximal 80 Personen übersetzen. Die Gäste bevölkern vorwiegend den Hauptstrand gleich an den beiden kleinen Piers, sitzen in der Strandbar oder kehren in die beiden Restaurants La Corona und Da Tonino ein.

Trekking und Klettern auf der Insel Tavolara

Nur wenige nehmen den Naturpfad und erwandern die Insel – was eingeschränkt möglich ist, denn der größte Teil der Oberfläche ist militärisches Sperrgebiet.

Mit einem Guide (z. B. mit unseren Freunden von Viaggio in Sardegna) und Kletterausrüstung und ohne Höhenangst gelangst du aber bis auf den 564 Meter hohen Gipfel, die Punta Cannone.

Und was für ein spektakulärer Ausblick dich erwartet!

Trekking auf den Gipfel Punta Cannone (Foto: Daniele Sanna)
Trekking auf den Gipfel Punta Cannone (Foto: Daniele Sanna)

Gegen 18 Uhr verlässt das letzte Linienboot die Insel (außer das eigens für ein Abendessen im „Tonino“ gecharterte Boot). Auch wer mit seinem privaten Boot anschippert, kehrt meist am frühen Abend zu seinem Liegeplatz zurück. Spätestens Mitternacht ist absolute Ruhe auf Tavolara.

An seinem Kopf ist eine kleine Militär- und Telekommunikationsbasis, auf der auch nicht rasend viel los ist. An der hinteren Flanke des Drachens sorgt der Tourismus für Ein- und Auskommen der 15 bis 20 Insulaner, die alle zu der Familie Bertoleoni gehören.

Doch sie sind nicht nur einfach eine Familie: Antonio (Tonino) Bertoleoni ist der König von Tavolara. Ein Scherz? Fehlanzeige.

Antonio I ist der siebte Herrscher des kleinsten Königreiches der Welt.

Das kleinste Königreich der Welt

Wie es dazu kam? Ende des 18. Jahrhunderts reiste der aus Korsika stammende und auf La Maddalena geborene Schäfer Giuseppe Bertoleoni per Schiff von Genua „back to the roots“: in Richtung Korsika und Sardinien, um sich dort niederzulassen.

Das kleinste Königreich der Welt im Abendlicht: Isola Tavolara
Das kleinste Königreich der Welt im Abendlicht: Isola Tavolara

Zunächst steuerte er die Bocche di Bonifacio an und besuchte seine Familie auf La Maddalena, wo er eine vorübergehende Unterkunft fand. Sein Ziel war jedoch eine Insel, auf der er sich mit seiner Frau niederlassen und auf der sie den Rest ihres Lebens bleiben könnten. Caprera erwies sich als zu groß und unpassend. Die Isola Mortorio, malerisch vor dem heutigen Porto Cervo gelegen, als zu klein und ungeschützt.

Er fuhr noch weiter südlich und fand schließlich einen Anker- und Siedlungsplatz an der, abgesehen von Ziegen und Vögeln, unbewohnten Isola Tavolara. Er nahm sie für ich in Besitz und holte einige Zeit später Frau und Geschwister zu sich. Anfangs lebten wohl etwa sechs bis acht Personen hier.

Im Jahre 1836 näherte sich ein Boot der Insel. Doch war es nicht irgendein Boot: Der König von Sardinien, Carlo Alberto di Savoia, wollte erkunden, ob sich auf Tavolara trefflich jagen ließe.

Der Besuch des Königs

Blick von Porto Taverna
Blick von Porto Taverna

Kaum hatte der König das Land betreten, begrüßte ihn Paolo, der Sohn von Giuseppe Bertoleoni und stellte diesen als „König von Tavolara“ vor.

Wenn man der Überlieferung glauben darf, fand Carlo Alberto das so amüsant und den „anderen König“ , dass er beschloss, eine Woche auf der Insel zu bleiben. Einige meinen, diese Episode habe einen maßgeblichen Anteil daran gehabt, dass der König Sardiniens der Familie die kleine Insel schließlich schenkte. Eine sehr einfache Erklärung.

Andere vermuten, dass Giuseppe – deutlich kultivierter als der durchschnittliche sardische Schäfer – in Wirklichkeit Mitglied einer französischen Aristokratenfamilie war, der ins Exil reisen musste. Der ein oder andere Verschwörungstheoretiker vermutet in ihm gar den als ermordet oder verschollen geltenden Dauphin Louis, XVII.

Jedenfalls war König Carlo begeistert. Ob nun aus einer Zuneigung für den Erstgeborenen heraus oder angetan von dem Selbstbewusstsein eines Mannes, der zu Seinesgleichen gehörte ist oder weil er die Insel eh für wertlos erachtete: Die Motive des Carlo Alberto sind unklar.

Jedenfalls erhielt die Familie Bertoleoni eine von ihm unterzeichnete Schenkungsurkunde. In ihr verbrieft die Berechtigung, die Titel „König / Königin von Tavolara“ zu führen. Der oder die Erstgeborene hieße fortan „Principe“ oder „Principessa“ und die weiteren Nachkommen trügen den Zusatz „Signor delle Isole“ und „Signora del Mare“.

Die Regentschaft über das Königreich Tavolara ging 1845 an den vorwitzigen Sohn über, der bis 1886 als Paolo I. regierte.

Blick auf die Isola Tavolara von Porto San Paolo im Frühling
Blick auf die Isola Tavolara von Porto San Paolo im Frühling

Ist Tavolara heute immer noch ein Königreich?

Sagen wir mal so: Die Schenkung und die damit verbundene Begründung des Königreiches Tavolara gilt bis heute. Die Insel gehört heute offiziell zur Region Sardinien und damit zu Italien.

Das Königreich wurde über die Schenkungsurkunde hinaus jedoch nie offiziell anerkannt, auch nicht vom König Carlo. Man beließ es einfach dabei. Und so ging Sardinien und mit ihm Tavolara nach dem Risorgimento in der Republik Italien auf. Die Familie Bertoleoni sieht das natürlich anders und für sie gilt weiterhin die „Monarchie“.

Der erste und die nachfolgenden Könige liegen auf einem kleinen Friedhof auf der Stranddüne begraben, nur wenige Meter hinter den Badenden. viele bemerken das Kuriosum gar nicht, und selbst wenn sie davor stehen, erschließt sich ihnen die Beschriftung „Re di Tavolara“, König von Tavolara, nicht.

Recht schmucklos, für ein Grab des Königs …

Der heutige „König“ Antonio macht aus dieser Geschichte keinerlei Aufhebens, führt in Ruhe sein Restaurant „Ristorante da Tonino Re di Tavolara„. Streitet sich hin und wieder mit dem Betreiber des zweiten Restaurants, und lebt die meiste Zeit sowieso in Olbia, ganz ohne Prunk und Pomp.

So kommt es, dass viele, wenn sie nach einem wunderschönen Sommertag die Insel Tavolara wieder verlassen, nicht einmal ahnen, bei einem echten König gespeist zu haben.

Allein der Schlossdrache bewacht weiter das kleine Königreich, das sich an seine Flanken schmiegt.

Im Kielwasser lassen wir das Königreich Isola Tavolara
Im Kielwasser lassen wir das Königreich Isola Tavolara

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