„Terranova war nah. Doch noch wirkte alles verloren, jenseits des Treibens unserer Welt. […] Hinter einer flachen Kurve kam der Hafen in Sicht. Er war zauberhaft ins Land geschmiegt. Masten ragten auf, und das Land umschloß das flimmernde Hafenbecken. […] rundum buckelte sich hügelig und dunkel und geheimnisvoll das Land, dunkelblau und winterlich in der goldenen Nachtglut, und die große, seicht wirkende Bucht glänzte wie ein Spiegel. […] Wir bogen ein, kreuzten Schienen, ratterten die dunkelnde Straße entlang in die flache, gottverlorenene Stadt mit ihren dunklen Häusern auf sumpfigem Grund.“

Hafen um 1920

Hafen von Terranova, Postkarte um 1920

D. H. Lawrence beschreibt Terranova Pausania (Tarranóa in sardisch (Gallurese), heute besser bekannt als Olbia), im Jahr 1919 nicht gerade als Schmuckstück (Quelle: „Das Meer und Sardinien“, Diogenes-Verlag). Auch heute ist die Isola Bianca, wie die Landzunge oder Halbinsel heißt, auf der der Hafen liegt, keine offensichtliche Schönheit; die Gebäude der Stadt sind an vielen Stellen von äußerlichem Verfall geprägt.

Nach wie vor gibt es viele Inselbesucher, die schnell auf die Ausfallstraßen fahren, als wäre der Teufel hinter ihnen her und als sei der Ort nur das, was er oberflächlich zu sein scheint: ein hässliches Entlein, ein bloßes Tor zu der Insel. Oder wieder von ihr fort, wie im Falle D. H. Lawrences und seiner Reisegefährtin.

Hafen von Olbia, heute

Hafen von Olbia, heute

Olbia selbst scheint niemanden zum Verweilen zu bewegen. Zu Unrecht, wie wir vorab feststellen mögen, denn auch diese Stadt ist reich an verborgenen und offensichtlichen Schönheiten.

Aber vielleicht liegt es in ihrer Geschichte und ihrer Natur, dass so wenige hier sein wollen. Wenig Städte Sardiniens spiegeln das Auf und Ab in der Historie so sehr wie diese, nämlich in ihren Namen. Olbia. Oder Civita. Oder Terranova. Oder Pausania. Oder Terranova Pausania.

Eine Reise in die Vergangenheit ~ die Namen der Stadt

Wie die Nuragher den Ort nannten, wissen wir nicht. Sie waren aber in der Gegend, haben ein Brunnenheiligtum und den Nuraghen Cabu Abbas hinterlassen. Ihren ersten Namen, Olbia, verpassten die Karthager der Siedlung, die sie im 5./6. Jahrhundert vor Christus nahe der heutigen Via Regina Elena errichteten. Der Name „OLBIA“ stammt aus dem Griechischen Ολβιος (Olbiòs), was übersetzt „glücklich“ heißt (Quelle: wikipedia.it). Immerhin die punischen Siedler schienen sich hier wohl gefühlt zu haben.

Blick von Cabu Abbas auf Olbia

Blick von Cabu Abbas auf Olbia

Die ersten, die die strategisch günstige Lage Olbias erkannten, waren – wie so oft – die Römer und sie waren auch die letzten, die sie als „glücklich“ erlebten. Während ihrer Herrschaft war die Stadt als „Olbia“, „Olbi“ oder „Olvia“ bekannt. Der Hafen wurde als der der italienischen Halbinsel am nächsten liegende genutzt, um Materialien zu transportieren. Die gute Infrastruktur, wie z. B. ein Forum, Pflasterstraßen, öffentliche Thermen und Aquädukte (z. B. der vom Monte Cabu Abbas, vom lateinischen caput aquarum, was soviel heißt wie „Beginn des Wassers“), sorgten dafür, dass sie prächtig gedieh und auf gut 5.000 Einwohner im 3. Jahrhundert vor Christus anwuchs. Wobei dazu gesagt werden muss, dass es sich bei den meisten Einwohnern um Römer handelte, nicht um Sarden. Diese lebten von den Besatzern kaum kontrollierbar im Hinterland und den Bergen.

Auch nach dem Niedergang des römischen Reiches hatte Olbia eine gute Zeit. Diese endete jedoch abrupt, als ihre Stadt von den Vandalen dem Erdboden gleichgemacht wurde. Alle Häuser, alle Schiffe im Hafen brannten. Mühsam wieder aufgebaut entstand ein wenig weiter im Landesinneren (etwa dort, wo heute die Kirche San Simplicio steht), um 600 nach Christus ein neuer Ort: „PHAUSANIA„. Der Name soll von dem Fluss „Pasana“, der hier einst ins Meer floss, stammen.

Die arabische Besatzung ging an dem Ort fast ein wenig vorbei. Da die Kalifen es vor allem auf die Erdschätze und Mineralienvorkommen an der Westküste der Insel abgesehen hatten, war Pausania nicht mehr als ein Dorf am Meer.

San Simplicio, 12. Jahrhundert

San Simplicio, 12. Jahrhundert

Um 1.000 nach Christus begann die Richterzeit auf Sardinien – wie, darüber gibt es viele Meinungen, am ehesten scheinen strategische Verhandlungen von Papst Gregor mit den Byzantinern die Ursache zu sein. Doch wir wollen keine hinzufügen und belassen es bei der einfachen Feststellung. Olbia bzw. Phausania wurde die Hauptstadt des damaligen Judikats Gallura und ab dem Jahr 1113 n. Chr. nannte man sie „CIVITA„. Die neue Größe führte dazu, dass sich Civita gut entwickelte, wenn auch langsam. Unter dem Richter Costantino entstand die imposante Kirche San Simplicio – die auch heute, 1.000 Jahre später, sehr gut erhalten und einen Besuch wert ist.

1296 fiel die Stadt in die Hände der Pisaner, die bei ihrer Ankunft den Tod des Richters Visconti geschickt ausnutzten. Man taufte den Ort kurzerhand in „TERRANOVA“ um – für die Pisaner war Sardinien ja gewissermaßen „neues Land“. Die nun folgende Zeit war nicht gerade die beste der Stadtgeschichte. Über die Pisaner sagt man: „Hanno rovinato l’isola questa razza di bastardi, i privilegi sardi li hanno portati via…“ („Dieses Volk von Bastarden hat die Insel ruiniert, die sardischen Privilegien haben sie hinfortgenommen …“) . Die Einwohnerzahl dezimierte sich auf nur noch knapp 800: Die meisten wurden ermordet oder flohen vor den Besatzern ins Hinterland.

Besser leben im Hinterland

Besser leben im Hinterland

Das Haus Aragon brachte keine wirkliche Besserung. Die Stadt selbst war kaum noch von Sarden bevölkert; der klägliche Rest litt nun eben unter der Verfolgung der spanischen Feudalherren. Pest, Malaria, 1553 eine höchst unfreundliche Stippvisite des Turghud Reis (einem türkischen Korsar), der das Zentrum der Stadt verwüstete sowie sechs Jahre später eine große Feuersbrunst taten ihr Übriges. Die Stadt hatte kaum mehr 250 Einwohner, behielt aber vorläufig ihren Namen.

Ende des 16. Jahrhunderts profitierte der Ort von einer Restrukturierung der Kirchenorganisation: Man legte verschiedene Diözesen zusammen. Terranova erhielt den Bischofssitz. Die Stadt war kaum mehr als das und wurde fortan von ihren (vorwiegend kirchlichen) Einwohnern „CIVITA E AMPURIAS“ genannt.

Anfang 1800 war Terranova immer noch von der jahrhundertelangen Besatzung gezeichnet, daran änderte auch die Regentschaft des Hauses Savoyen wenig. Ein wenig tragisch, so beschreibt es (frei übersetzt) der Schriftsteller Antoine-Claude Valéry in „Voyage en Sardaigne“: „Begünstigt direkt am Meer gelegen, geschützt durch die Berge, gesegnet mit einem so guten Klima, könnte die Stadt über 50.000 Einwohner ernähren…“ – doch statt dessen fand man „dreckige Häuser und Schmutz innerhalb und rundherum“. Im neunzehnten Jahrhundert hatte die Stadt nie mehr als 2.000 Einwohner.

Piazza Regina Margherita 1920, Quelle: Comune di Olbia

Piazza Regina Margherita 1920, Quelle: Comune di Olbia

1862 erhielt die Stadt per königlichem Erlass den alten Beinamen „Pausania“, wurde fortan also „TERRANOVA PAUSANIA“ genannt. Mit ihrem wiedereröffneten Hafen und der 1881 eingeweihten Bahnlinie Cagliari-Chilivani-Terranova fanden so etwas wie Wachstum und Wohlstand Einzug in die Stadt.

Der Erste Weltkrieg hinterließ wenig Spuren in der Stadt selbst, sie verlor aber einige ihrer Söhne, die in der Brigata Sassari kämpften. In die „Goldenen Zwanziger“ fiel in etwa die Reisezeit D. H. Lawrences – der allerdings wenig Güldenes in Terranova fand, wie wir lesen konnten. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges dann eine erneute Namensänderung: am 4. August 1939 gab man der Stadt ihren antiken Namen „OLBIA„, die Glückliche, zurück. Das drückte wohl nur die Hoffnung aus, möglichst unbeschadet durch die Kämpfe zu kommen: 1943 aber wurde das Stadtzentrum bombardiert und stark zerstört.

Olbia heißt heute immer noch Olbia und ist viel schöner und interessanter, als manch einer beim Durch- und Vorbeifahren denkt. Aber dazu in einem späteren Artikel mehr!

Weitere Informationen und Quellen:



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