Beeehditorial Dezember 2013 – In diesen Tagen über das Wetter zu sprechen, ist auf Sardinien weit von Smalltalk entfernt. Es geht nicht um Sonne satt, und auch nicht darum ob ein Wölkchen den blauen Himmel stört, oder ob 25 Grad nicht doch ein wenig zu kühl sind.

Supramonte im Nebel

Supramonte im Nebel

Redet man jetzt übers Wetter, geht es um das Sturmtief Cleopatra, das vom 18. bis 20. November 2013 starke Überschwemmungen und Zerstörungen verursachte.

Es geht vor allem um die 18 Menschenleben, die das Wetter gefordert hat. Um die 2.700 direkt betroffenen Menschen und ihre Geschichten. In einem von der Landwirtschaft geprägten Land geht es auch um nicht mehr brauchbare Felder, verendete Tiere, zerstörte Arbeitsplätze und Existenzen. Die Stichworte „Klimawandel“ und „Zuzementierung“ tauchen immer wieder auf.

Nein, das Wetter ist grad kein triviales Thema.

Herbst und Winter streiten sich zu dieser Jahreszeit oft, wem die Insel gehört. Auch in „normalen“ Jahren.

Intensives Wetter ist auf der Insel um den Jahreswechsel durchaus üblich und zeigt uns ein Sardinien, das so auf  Postkarten nicht zu sehen ist.

Das liegt an mehreren Faktoren.

Kastanien im Schnee

Kastanien im Schnee

1. Die unterschiedlichen Klimazonen Sardiniens sind im Winter besonders ausgeprägt: In den Bergen fällt der Schnee, in mittleren Lagen wachsen zur gleichen Zeit Nüsse, Kastanien, die Mirto-Beeren und die Früchte des Erdbeerbaums, während es in der Ebene noch vereinzelt blüht und das Wasser nur langsam abkühlt.

2. Die Lage: In der Mitte des westlichen Mittelmeers gelegen, ist Sardinien nicht nur von viel Wasser mit eher warmer oder mittlerer Temperatur umgeben, sondern, wenn man einen Blick auf die nächstgelegenen Landmassen wirft, auch von Hochgebirgen eingerahmt: im Norden die Alpen, im Osten liegt Italien mit den Apenninen, im Nordwesten die Pyrenäen, im Südwesten und Süden das Atlasgebirge. Ein noch weiterer Blick zeigt uns im Süden die Sahara – auch im Winter eine der wärmsten Zonen der Welt; im Westen den kalten Atlantik (die iberische Halbinsel lässt ne Menge kalter Luft durch);  im Osten die kontinentale Landmasse Russlands. Diese Gegensätze und die Umstände, die im Sommer dafür sorgen, dass das Mittelmeer und seine Inseln sich wie ein warmes Nest anfühlen, sind im Winter durchaus für Turbulenzen gut.

3. Die Topografie der Insel: Sardinien selbst hat massive Felsmassen mit einer mittleren Höhe von über einem Kilometer, die höchsten Gipfel erheben sich auf über 1.800 Meter. Von den Küsten erhebt sich die Insel relativ schnell, aber weich und sanft zu ihren Gipfeln. Der Eindruck ist nicht bergig-steil, sondern eher hügelig, und doch sehr massiv. Sie ist ein echter Fels in der Brandung – wenn auch mit einer Fläche von 24.089,89 km² ein sehr großer.

Dunkle Wolken über La Maddalena

Dunkle Wolken über La Maddalena

4. Die Winde, Hochs und Tiefs: Im Winter sind die ungemütlichen, kalten Winde vorherrschend: Der Tramontana kommt aus Norden über die Alpen und bringt polare Kaltluft. Der  Maestrale (Mistral, aus Nordwest) entsteht aus kalten Atlantik-Tiefs. Bildet sich bei diesen Winden zudem ein Tief über dem Golf von Genua, ist oft mit starken Stürmen und deutlicher Wetterverschlechterung zu rechnen. Seltener sind Tiefs, die aus Süden anrücken. Cleopatra war zwar erst der zweite Herbststurm der Saison auf der Insel – aber genau so ein Fall mit starkem Südostwind (Scirocco), der in seiner warmen Afrikaluft extrem viel Wasser tragen kann. Im Herbst können sich mehrere kräftige Tiefs hintereinander bilden. Wenn die sich dann überlegen, gemeinsame Sache zu machen – oder miteinander oder mit einer starken Hochdrucklage im Norden oder Westen zu streiten – ist das Wetterchaos perfekt.

All das führt – oft auch in Wechselwirkung miteinander – in der Regel zu ungemütlichem Wetter. Im Gegensatz zur Nordsee zum Beispiel, wo sich Tiefs weit auf dem offenen Meer ausbreiten und dort austoben können, verdichtet das Mittelmeer das Wetter auf eine relativ kleine Fläche – die zudem stark besiedelt ist. Die Mittelmeerinseln sind dann sozusagen „mittendrin“ im Geschehen.

Seewetterbericht

Quelle/Copyright: Deutscher Wetterdienst

„Cleopatra“ wurde übrigens hierzulande als „Zyklon“ bezeichnet. Der Begriff ist etwas verwirrend, weil viele darunter auch tropische Wirbelstürme im Indischen und Pazifischen Ozean verstehen. Aber auch sogenannte „dynamische Tiefdruckgebiete“ (im Mittelmeer auch “Medicanes” genannt) bezeichnet man als „Zyklone“.

Tatsächlich ähneln das Tiefdruckgebiet vom 18. November und auch das aktuelle Tief über Süditalien in seiner sich eindrehenden Form und in seiner Intensität einem Tropensturm. Nebenstehend auf der Seekarte des deutschen Wetterdienstes gut ersichtlich.

Wir hoffen, es sich damit in dieser Saison ausgetobt hat (und gern auch in künftigen, derartiges Wetter braucht kein Mensch).

Der sardische Zivilschutz hat jedenfalls noch alle Hände voll zu tun, die Spuren von Cleopatra zu beseitigen. Sie und die vielen Freiwilligen leisten gute Arbeit. Die immense Welle der Solidarität, die derzeit über die Insel schwappt, und die Sarden, die sich nicht unterkriegen lassen, sind großartig.

Bruncu Spina mit Schneehaube

Bruncu Spina mit Schneehaube

Auf den ersten Blick sieht es schon nicht mehr so schlimm aus, wenn man über die Insel fährt, denn die zerstörten Häuser der rund 1.000 Familien fallen nicht unbedingt ins Auge – leider, denn die Menschen, die darin wohnten, sind seit dem 18. November heimatlos. Auf den Straßen scheint bis auf ein paar Ausnahmen das Schlimmste vorbei, jetzt kommen weniger frequentierte Provinzstraßen und kleinere Erdrutsche dran. Küstenlinien sind ausgewaschen und auf Stränden liegt Schutt und Dreck.

Es wird wohl noch ein bisschen dauern, bis alles wieder so ist wie vor dem Unwetter. Wer jetzt auf die Insel reist, bringe bitte Solidarität mit, und Nachsicht, wenn mal etwas nicht so läuft, wie erwartet – vielleicht hat man gerade wichtigeres zu tun, oder etwas Schlimmes erlebt.

Wir wünschen der Insel und ihren Bewohnern eine ruhige Weihnachtszeit. Und genießen die starken Anblicke, die uns die Natur in diesen Wochen des Jahres schenkt.

In diesem Sinne: Haltet Eure Wolle gut fest, packt den Friesennerz und ’nen warmen Pulli ein, wenn Ihr auf die Insel kommt – und freut Euch über jeden schönen Tag!

Euer schwarzes Schaf

 

P.S. – Wenn wir über das Wetter recherchieren, wenden wir uns stets zuerst an die sardische Wetterfrösche von sardegna-clima.it. Das Portal kümmert sich seit 2008 nur um das Klima und Wetter auf Sardinien und sammelt professionelle Wetterdaten. Die Initiatoren sind übrigens die ersten und vielleicht einzigen Sturmjäger („storm chaser“) auf der Insel.

Eine kleine Einführung in Tiefdruckgebiete findet Ihr hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Tiefdruckgebiet

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