Boh. Schon wieder Malloreddus … Ja, da gibt es diesen einen Moment, wenn du längere Zeit auf Sardinien verweilst: Du schaust ins Menü des Restaurants oder (küstennahen) Agriturismo, schlägst Menu / Speisekarte auf und siehst als erstes »Malloreddus alla Campidanese«. Als könne man auf Sardinien nichts anderes kochen.
Natürlich sind gut gemachte Malloreddus ein Highlight, aber soll das alles sein? Natürlich nicht!
Tatsächlich bedienen die Gastgeber aber hier Erwartungen oder versteifen sich auf »das eine, einzig richtige Rezept« (das viele Restaurants nicht mal gut kochen können, aber dazu gleich mehr).
Sie vergessen dabei, wie kreativ die Insel selbst mit ihren Malloreddus umgeht.
Das bekannteste Rezept stammt aus dem Campidano – Is Malloreddus a Sa Campidanesa – und ist eines der ältesten überlieferten der traditionellen sardischen Küche.
In der sardischen Küche (so wie im Alltag) passiert es oft, dass gleiche Dinge unterschiedlich benannt werden. Im Sassarese nennt man diese Pasta Cicones al sugo / cigiones / zizzones, im Logudoro macarones caidos / macarones de punzu, in Nuoro cravaos.
Viele Restaurants bieten sie als Gnocchetti Sardi an, aber es sind gar keine kleinen Gnocchi / Klößchen.
Das rettet den deutschen Touristen immerhin vor der Aussprachefalle (by the way: es wäre Njokki, nicht Gnotschi). Malloreddus spricht sich glücklicherweise wie geschrieben.
Nun ist es das Los eines Klassikers, dass ihm das Besondere verloren geht. Das Schaf hatte im Hinterland wirklich schon ganz tolle (oh, machen gute hausgemachte Malloreddus glücklich!!!) und gar nicht gut zubereitete: Industrieware mit Schinken statt Salsiccia – und das in einem gar nicht so billigen Restaurant an der Costa Smeralda. Vermutlich sollte das als »kreative Interpretation« durchgehen. Das ist irgendwie schief gegangen …
Sogar in manchem perfekt funktionierenden Gastronomiebetrieb (oft an den touristischen Hotspots von Einwanderern / Kontinentalitalienern geführt) mit einwandfreiem Service und solider Küche fehlt das Gespür für die sardische Tradition oder schlicht das Wissen, wie es bei der eigenen Großmutter schmeckte.
Aber: Ein Restaurant mit mittelmäßigen Malloreddus ist ja nicht gleich selbst schlecht. Manche haben ganz andere Qualitäten. Sei es die herzliche Begrüßung durch die Gastwirtin. Oder morgens vom lokalen Fischer gebrachte Fisch. Vielleicht auch die fantastische Weinkarte oder das ganz besonders üppige Antipasto di Mare.
Und bei einem traumhaften Blick auf die Berge, das Meer oder den See darf in den Malloreddus auch mal Schinken sein, da sieht Schaf gelassen drüber weg – auf ebenjene Natur.
Zurück zu den Maloreddus: Die Pasta ist aus Hartweizengrieß / semola, Salz und Olivenöl, etwa 1 bis 1,5 cm lang, geriffelt und leicht eingedreht. Eine Affenarbeit für Neulinge, sardische Hausfrauen machen sie mit links. Dazu eine aromatische Fleischsauce.
O-Ton eines Kindes am Nebentisch einer Trattoria: «Wie Spaghetti Bolognese, bloß mit sardinischen Nudeln.»
Fast. Oder auch: Nein.
Denn wie immer ist Sardinien bunter als man glaubt:
Apropos Fenchel: Ganz zeitgemäß bot uns eine Köchin in der Nähe von Oristano eine Veggie-Version. Huch, wie modern!
Aber im Gegenteil! Das Rezept stammte von ihrer Ur-Großmutter und es geht so: Koche die frische (optimalerweise selbst geknubbelte) Pasta in einer satten Fenchelbrühe. Dazu Zwiebeln, gemahlene Fenchelsamen und frischen Fenchel rösten, die Tomatensauce aus tiefroten, fast überreifen Strauchtomaten oder datterini selbst zaubern, pfeffern, salzen und zum Schluss einen Hauch Safran hinein. Die Malloreddus darin baden. Ein Schafträumchen.
Das Problem vieler – auch wirklich guter – Trattorien und Restaurants ist: Sie erfüllen Erwartungen, die der Tourismus selbst erschaffen hat. Ein Sardinienreisender will Malloreddus und Porcetto essen. Basta. Also liefern die Touristenmenüs genau das.
Das gipfelt in der häufigen Aussage: «Nicht schon wieder Agriturismo, da gibt‘s immer dasselbe!»Und die ist leider nicht immer falsch. Der Malloreddu darf dir dann auch mal zum Hals raushängen.
Da hilft nur: Orts- und Regionswechsel. Fahre erstmal ins Hinterland. Schnurz, ob das Restaurant Meerblick hat. Beweg dich 5, 10, 20, gern auch 30 Kilometer oder noch weiter ins Inselinnere.
Wenn du im Nordosten (oder einem ausgesprochenen Touristenort) bist, sogar am besten in eine ganz andere Region. Die Aussage ist schade, aber es ist es in den letzten Jahren echt nicht leichter geworden, regionaltypische Gerichte zu finden. Warum ist große Vorbestellung für Gerichte notwendig, die Oma früher mit links gezaubert hat?
Rühmliche Ausnahmen gibt es natürlich und auch hier hilft eine aufmerksame Tour durchs Hinterland. Folge einfach deiner Nase oder einem Schild, das dir sympathisch ist.
Andere Inselregionen zu besuchen, ist der beste Rat, den das schwarze Schaf dir geben kann.
Um die Vielfalt der sardischen Küche zu erleben, hilft leider nicht, in deinem Hotel oder auserkorenen Lieblingsrestaurant die Karte durchzufuttern.
Du musst dich bewegen, nützt alles nichts.
Es sind diese kleinen Trattorien in den gewachsenen Dörfern und die Restaurants, die auch in der Nachsaison für Einheimische kochen, die dir das schwarze Schaf ans Herz legt.
Fahre über ewig lange Schotterstraßen zu den mit Leidenschaft geführten Agriturismi. Wage einen Blick in die Seitenstraßen. Spring über deinen Schatten und gehe auch mal in ein nicht so durchgestyltes Restaurant oder eins ohne Meerblick.
Warum nicht mal irgendwo essen, wo es einfach nur gut riecht, auch wenn es in keinem Reiseführer steht oder tripadvisor meint, ein anderes wäre toller.
Du wirst belohnt, versprochen!
Und last but not least hier noch das Rezept für den Klassiker:
Rezept für 6 Personen:
Zubereitung des Gerichtes:
Tomaten klein schneiden. Salsiccia in Stücke zerkleinern und in heißem Öl anschmoren, bis sie gar ist.
Die Salsiccia aus der Pfanne nehmen, in dem verbleibenden Öl den Knoblauch anrösten.
Den Knoblauch herausnehmen, dann die zerkleinerten Tomaten und etwas Salz hineingeben.
Wenn die Sauce fertig ist, den Basilikum, den Safran und die Salsiccia hinzugeben und alles gut vermischen, damit alle Geschmäcker sich verbinden.
Die Malloreddus in einem Topf mit kochendem Wasser zubereiten.
Dann aus dem Wasser nehmen und in einen Tontopf mit der Sauce vermengen.
Auf jeden Teller die Malloreddu, die geröstete Salsiccia und ein Stück Pecorino geben.
Zu den Malloreddus a sa campidanesa passt Wein, am besten der rote Cannonau.
Aprontai sa pitantza:
Aminudaus sa tomata. Segaus su sartitzu a tankeddus e du feus arrubiai in s’ollu callenti finsas a candu est cotu.
Bogau su sartitzu de su tianu, in s’ollu de su sartitzu e totu coeus is tìtulas de allu finsas a das fai imbrundai.
Bogau s’allu, poneus a coi sa tomata e açungeus unu cucirinu de sali.
Candu sa bannya est pronta açungeus s’afàbica, su tzafaranu e su sartitzu, e murigaus beni de manera de amesturai totu is saboris.
Poneus is malloreddus a coi in d-una pinjara cun akua salia buddendi.
Acabaus de coi e bogaus de s’akua, dus poneus in d-una supera de còssiu impari a sa bannya.
Candu poneus is malloreddus in is pratus, a donnyunu d’açungeus calincunu arrogheddu de sartitzu e unu pagheddu de casu tratau.
Papendi is malloreddus a sa campidanesa su mellus binu de bufai esti su Cannonau nieddu.
Das schwarze Schaf wünscht guten Hunger und eine schöne kulinarische Reise!
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Hans-Peter Bröckerhoff
19. August 2016 at 18:15Liebes schwarzes Schaf,
danke für die ausführliche uns lesenswerte Beschäftigung mit den Malloreddus. Sie haben wirklich eine zentrale Bedeutung in der sardischen Küche und es wäre in der Tat schade, sich bei der Beschäftigung mit dieser Pasta nur auf das eine, „klassische“, Rezept (alla Campidanese) zu beschränken.
Zum oben vorgestellten Rezept möchte ich allerdings eine Bemerkung machen: Es fehlt der Clou der Malloreddus alla Campidanese, das Unterheben des (oder zumindest des größten Teils des) geriebenen Pecorinos beim Vermengen der Pasta mit der Soße. Dadurch entsteht die sämige Konsistenz und der besondere Geschmack. Dass zum Schluss der Pecorino (als Stück!?) auf den Teller mit der fertigen Pasta gelegt wird, habe ich noch nie gehört und ergibt meines Erachtens auch keinen Sinn.
Und eine Kleinigkeit noch zu der Aufzählung anderer kulinarischen Köstlichkeiten der Insel: Die Bue rosse (razza sardo-modicana) grasen rund um und auf dem Monti Ferru. Im Marghine gibt es auch viele Rinder und gutes Fleisch, aber dort wird vor allem die Rasse „razza sardo-bruna“ gehalten.
Saludi e trigu
Hans-Peter Bröckerhoff
http://www.sardinien-auf-den-tisch.eu
nicole
24. August 2016 at 15:33Hallo! Vielen Dank für die detaillierten Ergänzungen!
Das Unterheben des Pecorino kenne ich auch. Ehrlich gesagt, habe ich aber auf meinen Reisen im Inselinneren tatsächlich mehr Pecorino darüber erlebt, als darin – zuletzt vor ein paar Wochen in einem Agriturismo im Oristanese. Auch bei der Recherche für diesen Artikel fand ich den Pecorino in den meisten Rezepten auf sardischen Quellen erst ganz am Schluss – oft sogar „a piacere“, nach Gefallen. Aber „Reiben“ ist ja eh eine recht moderne Angelegenheit. Manche Nonna hat gar keine Reibe und bricht / hackt den Pecorino und gibt ihn in dieser groben Form eher dazu / darüber und nicht hinein. Vermutlich ist in dem Rezept auch kein 500-Gramm-Stück gemeint, sondern ebendiese kleineren Stücke … 😉
Und für mich macht es durchaus sehr viel Sinn: zu alter / kräftiger Pecorino „erschlägt“ die feinen Noten von Basilikum und Safran – deren Geschmackskombi für mich der eigentliche Hit am Rezept ist.
Das muss alles auch nicht die ganze Wahrheit sein – und ich glaube, je mehr sardische Köche/innen wir fragen, desto mehr Antworten gibt es.
Insofern aber wirklich vielen Dank für Ihren Hinweis – zum Glück gibt es ja kein „Rezeptgesetz“ und so kann nun jeder schauen, wie es ihm am besten schmeckt 🙂
Mit dem bue rosso haben Sie recht, ich habe da während meiner Reisen wohl die kulinarische Regionsgrenze nicht wahrgenommen. Der Montiferru ist also ergänzt. By the way ist der bue rosso ja eigentlich gar keine sardische Rasse, sondern stammt aus Ragusa auf Sizilien … aber das sagen wir lieber nicht so laut 😉
Viel Spaß weiterhin mit Ihrer informativen Seite!
Gefällt mir gut, was daraus geworden ist, Complimenti!
Herzliche Grüße vom schwarzen Schaf
Hans-Peter Bröckerhoff
27. August 2016 at 13:15Liebes schwarzes Schaf, danke für die Antwort.
Sie provoziert bei mir doch noch ein Replik in drei Punkten.
Zunächst der einfachere. Die Razza Sardo-Modicana (bue rosso) ist zwar aus einer Kreuzung von Stieren der Rasse Modicana aus Sizilien mit den im Montiferru-Gebiet ansässigen Rindern entstanden. Aber sie hat so viele eigenständige Merkmale, dass sie heute als sardische Rasse gilt. Wir können also durchaus laut sprechen.
Der zweite Punkt ist etwas schwieriger. Ja, es gibt, wie auch bei vielen anderen sardischen Gerichten, Varianten der Malureddus alla campidannese. Ihre Erklärung hat mich dennoch nicht wirklich befriedigt und die Sache hat mich nicht los gelassen. Deshalb habe ich nochmals in meinen alten sardischen Kochbüchern und im Netz recherchiert (was ich schon damals, als ich mein Kochbuch schrieb, getan habe, wie mir heute wieder eingefallen ist). Die Grund- oder Hauptvariante ist die mit viel Pecorino (100 Gramm oder manchmal sogar mehr werden in den Rezepten angegeben), der am Ende mit vermengt wird oder reichlich darüber gestreut, und dann eben auf dem Teller erst vermengt wird. Zu diesem Rezept gehören übrigen immer auch Zwiebeln, die in der von Ihnen veröffentlichten Rezept nicht erwähnt sind. Hier wie die Wurst (einfache, frische salsiccia sarda, die normalerweise nicht mit Anis-Samen aromatisiert ist) nach dem Anschwitzen auch nicht aus dem Topf genommen, sondern mit dem Sugo (der ja gerade dadurch seinen besonderen Geschmack bekommt) gekocht.
Ihr Rezept scheint eher der zweiten Variante zugehörig zu sein. (In einem der Bücher, die ich wieder herausgeholt habe, sind sogar beide Varianten nach einander aufgeführt.) Hier wird tatsächlich nur etwas Käse darüber gestreut. Hier wird die Wurst nach dem Anbraten herausgenommen. Hier wird auch auf die, wahrscheinlich schon ein wenig gereifte, Wurst mit Anis-Samen verwiesen (wie in Ihrem Rezept). Ich habe diese Variante auch schon gegessen und sie sehr gut, aber eben anders als die Grundversion, gefunden.
Der dritte Punkt betrifft die Sache mit dem „Stück Pecorino“, der bei Ihrem Rezept auf den Teller gelegt wird. Hier geht es einfach nur um einen Übersetzungsfehler. Ich weiß nicht, wo Sie die Übersetzung des Rezepts her haben, aber der Übersetzer hat hier geschludert. „unu pagheddu de casu tratau“, wie es im sardisch-sprachigen Text heißt, bedeutet: ein wenig (und pagheddu = un pochino oder un tantino) geriebener (tratau = gratucciato) Käse.
Sorry für die vielleicht ein wenig zu akribische Behandlung des Themas. Aber ich wollte da auch für mich Klarheit bekommen. 😉
Herzliche Grüße
Hans-Peter Bröckerhoff
nicole
28. August 2016 at 09:38Alles gut! Es freut mich ja, wenn jemand Dinge hinterfragt, wir machen das ja nicht anders.
Das Lustige ist: Die Sarden sind sich selbst nicht einig. Ich hatte bei der Recherche extra einen Koch aus dem Campidano gefragt. Das Dumme nur: Der macht die Malloreddus nur mit Schafsricotta, das sei die „Hirtenart“ seines Großvaters. Seufz. Da war mir das obige Rezept dann irgendwie doch lieber, weil es „originaler“ ist, und es zudem eins mit sardischer Quelle war, damit man aus Neugier auch ein wenig in die Sprache „hineinschnuppern“ kann. Den Übersetzer will ich unbedingt in Schutz nehmen: Das ist kein Schludern, sondern war ein lieber Gefallen, ein großes Bemühen, das eben in der Nicht-Muttersprache Grenzen hat. Ich bin happy damit.
Manchmal (oder sogar: sehr oft) ist Essen sowieso wichtiger als Wissen 😉
Letztlich ging und geht es in diesem Artikel vor allem um den Genuss, um die Nähe zu Land und Leuten, um die Horizonterweiterung und darum, mit (auch kulinarisch) offenen Augen durch die Insel zu reisen.
In diesem Sinne, immer schön neugierig bleiben 🙂
Viele Grüße!