Erstreisende sind von Sardinien häufig vor allem eins: überrascht.
Überrascht, wie groß sie ist. Wie anders alles ist. Wie blühend sie sein kann. Wie trocken sie oft ist. Wie vielseitig sie ist. Wie wechselhaft sie sein kann. So eine Überraschung ist ja gut. Sie bringen den Menschen in Bewegung, geistig und körperlich.
Und so war das schwarze Schaf tatsächlich kurz am Überlegen, ob es überhaupt vorwarnen sollte. Touristen kaut man alles vor, aber echten Reisenden? Die kommen doch klar!
Aber ein paar sachdienliche Hinweise sind vielleicht zur beginnenden Saison nicht schlecht.
Zunächst:
Sardinien ist wirklich erstaunlich groß. Hatten wir schon gesagt, dass es groß ist? Also, so richtig wirklich groß. Weit. Weitläufig. Zu weit zu laufen. Absolut weit. Echt jetzt. Eh, beeeh.
Mit einer Luftlinien-Entfernung Nord-Süd von ca. 275 km, West-Ost ca. 130 km, und einer Fläche von 24.090 km² ist die Insel …
Wie gesagt, groß. Also plant ein bisschen Zeit ein. Denn …
Unsere Faustregel auf Landstraßen (SS = Strade Statale): 1 Minute für 1 Kilometer.
Sprich: für die 38 km von Olbia nach Palau braucht man rund 40 Minuten. In der Hauptsaison länger, da sich die Autos auf der kurvenreichen Landstraße aufreihen. In den Parkbuchten Nothalte mit kotzenden Kindern – man kennt das …
Aber selbst wenn man nur 40 fährt, ist man nach Adam Riese und Eva Zwerg in ner Stunde da. Es sei denn man steht im Ferragosto-Stau, aber wer reist denn da auch … 😉
Auf den wenigen Schnellstraßen des Landes (SSV = Strade Scorrimento Veloce) geht es schneller, doch eigentlich ist die erlaubte Geschwindigkeit bei 90 km/h, selten bei 110. Damit ist man auch nicht unbedingt wie bei der Formel 1 unterwegs, selbst wenn man könnte.
Der Weg zum Flughafen Alghero zum Beispiel ist von – nehmen wir mal beispielhaft – San Teodoro (wenn man denn vorschrifts- und schildergemäss fährt), ebenfalls kaum unter zwei Stunden zu schaffen, obwohl es nur 117 km sind.
Die Serpentinen im Hinterland und die Provinzstrassen (SP = Strade Provinciale) fressen oder geben Zeit. Das kommt ganz auf Euch an. Wer nur auf die Uhr schaut, und schnell und dringend z. B. von Sanluri nach Laconi möchte, der wird bei jeder der engen Kurven fluchen. Und bei den Schafherden, die sich ihm in den Weg stellen. Bei den Steigungen und den Schlaglöchern.
Doch für den entspannten Urlauber ist die Fahrt z. B. von Fonni nach Aritzo oder von Lanusei nach Sadali geschenkte Zeit, weil er stundenland nichts anderes tut, als sich in den Weiten der sardischen Landschaft zu verlieren.
Wer einmal durch die Barbagia Mandrolisai gefahren ist, weiß, dass das nicht schnell geht. Muss es aber auch nicht, weil es eines der landschaftlich schönsten und üppigsten Flecken der Insel ist, mit vielen kleinen Weinbauern und kleinen Dörfern, die nur ganz wenig Besuch bekommen.
Eine Wanderung zur Crabarissa machen nur ganz wenige und allein das ist ein Grund, die Landstraßen dorthin entlang zu gondeln.
Jedenfalls passen der Blick auf die Landkarte und die Realität auf den sardischen Straßen nicht immer zusammen. Wie oft sagt man sich „Das sah auf der Karte viel näher aus“ – nachdem man von Olbia auf die Hochebene von Baunei doch drei Stunden im Auto gesessen hat.
Lohnend ist der weite Weg allemal. Hinterher werdet ihr wissen, warum.
„Schnell mal von – nach“ ist keine Phrase, die auf Sardinien passt. Sie gilt höchstens auf der SS 131, und auch nur dann, wenn einem die Geschwindigkeitsbegrenzung sowie die festen und mobilen Radarfallen egal sind (Strafzettel werden innerhalb der EU nachverfolgt). Dann schafft man es von Cagliari nach Olbia in … ach, lassen wir das.
Das Klima auf der Insel hat definitiv seine eigene Meinung davon, wie ein Urlaub ablaufen sollte. Alles, was an Schlechtwetterfront durchzieht, hält es durch die schiere Grösse der Landmasse fest.
Wenn ein Genuatief angesagt ist, bringen die Ausläufer auf der Insel meistens nichts Gutes. Azorenhochs hingegen sorgen für stabiles, sonniges Wetter.
Atlantiktiefs sind fast immer ein Garant für Mistral / Maestrale im westlichen Mittelmeer – und damit viel Wind auf Sardinien, zumindest an der Nord- und Westküste. Entweder setzt sich die Großwetterlage dann richtig durch und das Wetter wird schlecht – oder es bleibt sonnig und es hat eine tolle Weitsicht.
In dem Fall lohnt es sich, auf die Berggipfel der Insel (Monte Limbara, Monte Corrasi, Monti del Gennargentu) zu steigen: von der Punta Lamarmora sieht man an guten Tagen bis Cagliari, von der Punta Berritta bis zur Insel Asinara und den Gipfeln Korsikas.
Vielleicht helfen wieder ein paar Vergleiche, das Wetter und Klima einzuschätzen:
Durchziehende Schlechtwettergebiete sind aber in den meisten Fällen schnell Geschichte, da die Insel zwar eine Barriere fürs Wetter ist, aber dann doch relativ flach bleibt. Hängt aber ein kräftiges Tiefdruckgebiet mit seinem Zentrum direkt an der Insel, dann dauert es oft viele Tage.
Bei „normalem“ Schlechtwetter in einer Region hilft oft, sich einfach vom Fleck zu bewegen und in entgegengesetzter bzw. quer zur Wolkenrichtung zu fahren – oft scheint 50 Kilometer weiter die Sonne.
Das was die meisten überrascht, ist wie verfallen die Insel an vielen Stellen zu sein scheint. Sogar für südliche Verhältnisse herausgeputzte Dörfer wirken auf den nordeuropäischen Reisenden wie kurz vor dem Abriss.
Wer nicht mit den Erwartungen wie an ein ordentliches Schweizer, österreichisches oder deutsches Stadtbild herangeht, wird auch nicht enttäuscht.
Denn es ist eh oft nur die Außenhaut, an der gespart wird. Im Inneren so manches farblosen und abblätternden Palazzo verbirgt sich oft wahrhaft ein farbenfreudiger und geradezu verschwenderischer Palast. Man hält den Ball nach außen extrem flach – wissend, dass es viel wichtiger ist, sich drinnen wohl zu fühlen.
Natürlich werden viele echte Ruinen auch einfach stehen gelassen. Die Webseite „Sardegna Abandonnata“ portraitiert die großen verlassenen Bauwerke der Insel. Und das ist vermutlich auch die beste Art, mit den kleinen Ruinen im Dorf- oder Stadtbild umzugehen. Sie sind ein Teil der Geschichte, sie dürfen bleiben und das Ihrige zur Dorfhistorie beitragen.
Wenn man Glück hat, erzählt irgendwer dem neugierigen Hinseher, was sich dahinter verbirgt.
Als wir in Sinnai zum Karneval waren, und der Zug an einem uralten, verriegelten Haus vorbei führte, erzählte einer der Protagonisten, dass es sich um das Haus seiner Familie handelte. Man ließ es stehen, zog in ein komfortableres und erinnert sich heute im Vorbeigehen an die schöne Kindheit. Und für das Dorf ist es eher ein wertvolles Stück als ein Schandfleck. Betrachten wir Besucher es doch auch so.
Es gibt viele Dinge, die nicht so sind wie zuhause, aber das macht ja den Reiz des Reisens aus. Freuen wir uns darüber.
Hoch schrauben kann man seine Erwartungen aber mit Blick auf die schiere Vielfalt der Insel:
Von Kunst und Kultur über Feste und Feierlichkeiten bis zu den Möglichkeiten für einen Aktivurlaub und der Natur in den unterschiedlichen Regionen ist die Insel die vielleicht vielfältigste im Mittelmeer.
Das schwarze Schaf wünscht allen, die ihren Sommerurlaub auf Sardinien verbringen eine gute Zeit und empfehlen dringend, den angestammten / gebuchten Platz mindestens für ein paar Ausflüge in die Weiten der Insel zu verlassen. Und gern auch ab ins Unbekannte.
Happy Schwarzschaf-Urlaubing!
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sigrid
5. Juni 2015 at 12:35liebstes schwarzes schaf aller schwarzen schafe…
du merkst schon, mir ging gerade das herz auf.
warum? weil dein artikel so schön ist. weil da all das drinn steht, was ich schon immer mal aufschreiben wollte
und dann gleich noch viel besser, nämlich in deinem unnachamlichen schreibsti und so super detailliert und mit nochviel mehr, als mir jemals eingefallen wäre!
hab ich dir schon gesagt, dass ich ein fan deines stils bin? deines humors und deiner liebe zur insel sardinien, die wir teilen? die liebe, nicht die insel 😉
also einfach danke! für die gute recherche (ich weiß wieviel arbeit das ist)
und für den ton, den du immer so gut triffst.
so liebevoll und unbelehrend. beeeeh….
nun isses gut, ich hör auf und bastel einen link in meinem blog http://www.o-solemio.de/blog zu diesem wunderbaren artikel
einen schönen tag aus bremen!
sigrid von o-solemio
nicole
10. Juni 2015 at 12:02Lieben Dank für die wolligen Blumen, das Schaf ist wirklich selten auf Krawall gebürstet, und ich freue mich, wenn das auch so gut rüberkommt! Gerade in der beginnenden Hauptsaison mit so manchen trampeltierartigen Touristen (und damit sind nicht nur die Urlauber aus Deutschland gemeint) ist das hier und da eine Herausforderung, aber wir bleiben dabei 😉