Die Gegend zwischen Sassari und Porto Torres ist bei der Durchfahrt nicht wirklich der Hit. Aber sie ist eine kleine feine Fundgrube für versteckte Schätze – einer davon der Altarberg Monte d’Accoddi. Wer schon alle Nuraghen der Insel abgegrast hat, wird sich freuen, mal ein anderes archäologisches Highlight zu sehen.

Wir fahren aber erstmal durch Industrieanlagen, Lastverkehr und zweckmäßige Strukturen. Gepaart mit den Unzulänglichkeiten des hiesigen Straßen- und Wohnungsbaus, macht die Ecke nicht wirklich Lust, anzuhalten.

Aber, Monte d’Accoddi ist einzigartig auf Sardinien und allein deshalb einen Besuch wert.

Unscheinbar liegt es da, das einzigartige Bauwerk
Unscheinbar liegt es da, in einem Weizenfeld, das einzigartige Bauwerk

Das Bauwerk liegt ruhig und imposant und doch fast unauffällig da, mitten in der platten Landschaft. Das italienische Wort Monte / Berg ist reichlich übertrieben. Es bezieht sich aber auch gar nicht nur auf den Bau, sondern auf den gesamten Landstrich – der tatsächlich hügelig ist und in ein bisschen Entfernung auch eine Erhebung hat. „Accoddi“ soll in der lokalen Sprache Logudorese sowas ähnliches wie raccogliere / sammeln heißen und auf das zusammengesammelten Baumaterial für den Altar hindeuten. Andere, oder besser: zusätzliche Theorien beziehen das auf die landwirtschaftliche Ernte, die auf den Feldern an diesem Hügel eingebracht wurde. Klingt soweit plausibel.

Als erstes fallen mir die wuselnden Kaninchen auf (die aber sofort in ihren Löchern verschwinden, als wir ankommen), und dann: Eidechsen! Wie in einer Art historischer Megacity haben sie hier jeden einzelnen Stein okkupiert. Eine Eidechsenburg! Das muss man den Tierchen lassen: Sie haben sich eine wahrhafte Luxus-Wohnanlage ausgesucht und eingerichtet. Einzigartig im gesamten westlichen Mittelmeerraum.

Altarberg oder Zikkurat: einzigartig im westlichen Mittelmeer

Doch, wirklich einzigartig ist das, was Ercole Contu, ein junger sardischer Archäologe, da in den Fünfziger Jahren im Nordwesten der Insel ausgrub. Er schrieb damit ein ganz neues Kapitel sardischer Frühgeschichte, denn der Fund war nichts weniger als der einzige Altarberg im gesamten westlichen Mittelmeerraum, der aus prähistorischer, genauer: pränuraghischer Zeit stammt.

Monte d'Accoddi: Zikkurat aus prä-nuraghischer Zeit
Monte d’Accoddi: Zikkurat aus prä-nuraghischer Zeit

Zu ihm gehört auch noch die Nekropole / Necropoli ipogeica di Monte d’Accoddi, etwa 500 Meter nördlich, aber nicht offiziell zu besichtigen und durch die Eisenbahnlinie schwer zu erreichen.

Richtung Osten haben allein die Griechen (bzw. Mesopotamier) ähnliche Komplexe, Zikkurate / ziqqurat genannt, errichtet. Das bedeutet „hoch aufragend/aufgetürmt, Himmelshügel, Götterberg“ und so gesehen sind die Bauten schon ein bisschen verwandt.

maya-terrassen-pyramiden-artige Bauweise
Mesopotamische, pyramiden-artige Bauweise

Aber so richtig doch wieder nicht: Der Altarberg Monte d’Accoddi ist deutlich älter als alles, was man im sonstigen Europa fand. Seine ursprüngliche Grundfeste (37,5 x 30,5 m) stammt aus der Zeit der sogenannten Ozieri-Kultur; wir reden von 2.700 bis 2.400 vor unserer Zeit. Das ist mal lang her. Die Ausgrabungen trugen zudem Überreste einer Siedlung aus dem 5. Jahrtausend vor unserer Zeit zu Tage – das liegt von heute gut 6.500 Jahre in der Vergangenheit. Die Stätte ist damit älter als alle Nuraghen und als vergleichbare Bauwerke auf Sardinien und im westlichen Mittelmeer

Das Alter ist wohl auch der Grund, warum seine Bauweise viel schlichter als die anderer, jüngerer Zikkurate ist: Mit einer reinen Konstruktion aus Gestein und Erde, ummauert von in der Region vorhandenen runden Steinen, unterscheidet er sich stark von oberflächlich ähnlich anmutenden Bauten.

Er erinnert ganz weit entfernt sogar etwas an die Pyramiden der Maya, die – durch zugegeben wesentlich höhere und kunstvollere Bauten – sich so ihren Gottheiten zu nähern glaubten. Wieder mal ein Stück Welt auf Sardinien.

Religion und Kult

40 Meter lang, hinauf auf den Altarberg
40 Meter lang, hinauf auf den Altarberg

Mit einiger Sicherheit ist der Monte d’Accodi als religiöse Kultstätte einzuordnen. Das Prinzip der Annäherung der irdischen Welt (symbolisiert durch Steine) an die Gottheit (Himmel) ist ein erstes Indiz. Da ist ein phallischer Menhir, der auf Fruchtbarkeitskulte und einen männlich geprägten Stierkult hinweist – ebenso wie die runde Steinkugel, die an der Seite der Anlage liegt.

Weibliche Gegenstücke sind Öffnungen im Kalkgestein, die auf Fruchtbarkeitsriten hindeuten. Dann sind da zwei dolmenartig gebaute Steintische – vermutlich nicht fürs Familienessen, sondern für Opfertiere.

Alles überragend die nach Süden ausgerichtete, vierzig Meter lange und neun Meter breite Rampe, auf der man sich gut vorstellen kann, wie in kultischen Zeremonien die Opfergaben hinaufgebracht und der Gottheit dargeboten wurden.

Genau weiß man das natürlich nicht – war ja beim Ausgraben weder eine Betriebsanleitung noch ein Geschichtsbuch dabei. Aber es macht Spaß, sich ein paar Spekulationen hinzugeben. Denn die Dinger haben Menschen ja meistens nicht einfach so gebaut – erst recht nicht ein etwa 1.100 Quadratmeter umfassende Anlage.

Kultstein, ca. 1 Meter Durchmesser
Kultstein, ca. 1 Meter Durchmesser

Der frühere Tempel (der sieht auf alten Zeichnungen, die im Antiquarium neben dem Monument ausgestellt sind, eher wie ein Stall aus), ist einem Feuer zum Opfer gefallen. Daher sieht man heute nur noch die Bodenfläche, auf dem er stand.

Die Terrassenbauten haben die Jahrtausende bis heute leider nicht in ihrer ganzen Pracht überdauert – den Rest hat ihr der zweite Weltkrieg gegeben, als der Hügel von Spähern genutzt und – in Unkenntnis dessen, welcher einmalige Schatz sich darunter befand – durch Gruben und Schützengräben irreparabel beschädigt wurde.

Phallischer Menhir

Da gibt es Quellen, die sagen, der Monte d’Accodi sei allem Anschein nach zwei sumerischen Mond-Gottheiten gewidmet: Nanna und Ningal. Durchaus vorstellbar, dass dieses göttliche Liebespaar den phallischen Menhir durchaus inspirierend gefunden hat.

Und irgendwann in der Bronzezeit war der Tempel als Grabstätte genutzt worden: Man habe den Körper eines Kindes in Totenkleidung gefunden. Einen ca. 4.000 Jahre alten, im heutigen Irak befindlichen Zikkurat des Mondgottes Nanna kann man auf Wikipedia ansehen.

Und wer hat’s gebaut?

Auch darüber gibt’s Spekulationen. Wegen seiner Ähnlichkeit zu mesopotamischen Bauwerken vermutet man, dass aus jener Region eingewanderte Herrscher und Eroberer ihren Kult herübertrugen.

Sardinien war ja schon immer ein Anziehungspunkt für fremde Navigatoren, Handelstreibende und Herrschsüchtige – Phönizier, Griechen, Mauren. Ließen sie sich nieder, führten sie ihre Kulturen und Bauweisen ein, ein völlig natürlicher Vorgang.

Vielleicht ist daher ja an der Legende etwas dran, nach der der mesopotamische Königpriester Uruk dem Zweistromland den Rücken gekehrt haben und mit seiner ganzen Familie (also vielmehr, einem ganzen Stamm) nach Sardinien ausgewandert sein soll, um auf der Insel zu leben.

Vielleicht hatte er schon zuhause die „Geschäftsidee“ einer Kultstätte mitten im Mittelmeer – und war seiner Zeit voraus? Im Gegensatz zu den meisten Goodbye-Deutschland-Auswanderer-Konzepten wäre er also erfolgreich gewesen, wenn man bedenkt, dass der Altarberg intensiv auch noch von nachfolgenden Kulturen genutzt wurde.

Und gewisse Funde lassen noch ganz andere Spekulationen zu … da ist allein dieser Stein mit der Darstellung der Muttergöttin. Eine heilige Stele, soviel ist sicher, in Zusammenhang mit dem Kult um die Dea Madre, die beiden Kreise stellen nährende Brüste dar … Aber dieser sehr große Kopf, der hat ja fast was von der Herzkönigin von Alice im Wunderland … also, wer sich da nicht den Aluhut aufsetzt …

Eine Reproduktion, das Original steht im Museum Sanna in Sassari

Aber bevor hier noch wildere Spekulationen entstehen, fragt lieber einen Guide vor Ort, oder schaut das Original an, das im archäologischen Museum Sanna in Sassari ausgestellt und erklärt ist.

Monte d’Accoddi heute

Heute wohnen hier wie gesagt, sehr sehr viele Eidechsen. Auf, neben, unter und zwischen den Steinen sind Abertausende der entzückenden Tierchen – wir würden den Berg daher lieber Monte Lucertola nennen. Wer die genauso gern hat wie wir, wird sich hier gern auf die Lauer legen und die zahlreichen unterschiedlichen Arten, von der tyrrhenische Mauereidechse über die Ruineneidechse bis zur (mit Glück anzutreffenden) Kieleidechse beobachten. Von neugierig bis scheu, von In-den-Schatten-Flüchtern bis zum Sonnenanbeter ist alles dabei!

Eidechse
Eidechse

Wir mögen diese immense Ruhe und den Frieden, die der Ort ausstrahlt. Die weite Wiese rund um diesen bemerkenswerten historischen Ort, an dem schon seit sieben Jahrtausenden Menschen leben, lädt ein, sich hinzusetzen.

Oder mit ein paar Fakten zur Ausgrabung der Spekulationen erwas zu entkommen: An der Seite in einem kleinen Häuschen sitzen die heutigen „Hüter“ und erklären für die paar Euro Eintritt die wichtigsten Eckdaten.

Und sie sind in der Hauptsaison so freundlich, eine kleine Bar einzurichten. Die wiederum könnte sich zu einer neuzeitlichen Kultstätte entwickeln, um – die geballte Historie im Rücken – bei einem kühlen Ichnusa den Tag ausklingen zu lassen.

Weitere Informationen auf: www.prehistory.it (italienisch, inkl. einer rekonstruktiven Zeichnung).

Die Abfahrt ist auf der vierspurigen Schnellstraße aus der Richtung aus Porto Torres zu erreichen. Von Sassari kommend, fährt man über den nahe gelegenen Kreisverkehr einfach ein Stück wieder zurück (ja, Kreisverkehr in einer Vierspurigen, das ist richtig, der Verkehr ist auf 50 heruntergeregelt 😉

2 Comments

  1. Sigrid Hering

    5. September 2017 at 23:14

    ah!!! über diesen ort habe ich gerade etwas gelesen. kurz gegoogelt und wo komm ich raus? beim schwarzen schaf 🙂
    dieser „berg“ kommt auf meine liste… werd ich mir anschauen ende september. danke für den bericht darüber 🙂

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    • nicole

      6. September 2017 at 07:51

      Hihihi, das unvermeidliche schwarze Schaf … 😉

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