Ebene, Ebene, Ebene. Plattes Land.  Die grüne Gegend um Arborea ist etwas für Flachlandtiroler. Wem das ewige Serpentinengegurke und die Höhenmeterjagd auf der Insel zuviel geworden ist, findet rund um dieses kleine Städtchen mit nur etwa 4.000 Einwohnern ein echtes Paradies.

Chiesa SS Redentore, Arborea

Chiesa SS Redentore, Arborea

Arborea ist alles, nur keine typisch sardische Stadt. Das liegt wohl an ihrer Geschichte: 1928 wurde sie in der Zeit des italienischen Faschismus als Mussolinia gegründet. Ihr Grundriss ist fast rechtwinklig, nur wenige Straßen wagen es, auszureißen.

Auch das Land ringsum mit ewig langen, schnurgeraden Entwässerungsgräben trocken gelegt, diese Arbeit begann bereits nach dem ersten Weltkrieg. Zuvor war die Piana di Terralba ein sumpfiges, seenreiches Gebiet, mit vielen Bäumen, sumpfigen Wäldern, und einer reichen Flora und Fauna, die auf, im und von dem Wasser lebten. Und einem riesigen Problem: der Malaria.

Die heutige Bezeichnung Arborea, bzw. sardisch arburedu (Logudorese), stammt vom lateinischen arboreta, was wiederum Wald, Gehölz bedeutet – den es hier früher mal gegeben haben muss.

Die Gegend ist aber vor allem im Frühling immer noch sehr grün, und die langen Straßen sind von Gebüsch und Bäumen gesäumt.

Eine eigene kleine Welt ist es, durch die man ewig mit dem Fahrrad fahren kann – sie ist wegen der langen Geraden auch beliebt bei Rennradfahrern, die Strecke und Tempo machen wollen.

Erst spät, nach dem Sturz des Regimes im Jahr 1944, besann man sich auf die alten Schönheiten Sardiniens und gab der Stadt ihren heutigen Namen. Die junge Stadt ist sozusagen erst sehr spät sardisch geworden.

Identitätsstiftend ist auch die Namensgleichheit zur sardischen Volksheldin und Richterin Eleonora d’Arborea (die eigentlich Katalanin ist und nicht, wie man annehmen könnte, aus Arborea stammt). Sie regierte aus Oristano das Judikat von Arborea und gab dem sardischen Volk die Carta de Logu, ein in sardischer Sprache verfasstes Gesetz, das hohe Akzeptanz im Volk hatte.

Die Menschen hier identifizieren sich mit ihren Errungenschaften für Sardinien, gelingt mittlerweile ein wenig die Befreiung von der faschistischen Vergangenheit.

Venezianische Besiedelung

Ziemlich eckig: Arborea und das Umland

Ziemlich eckig: Arborea und das Umland

Vor allem Siedler aus dem Veneto folgten dem Ruf Mussolinis und nutzten die Ländereien rund um die Stadt für Ackerbau und Viehzucht.

So spricht man hier ein sehr gut verständliches Italienisch, und auch den venezianischen Dialekt, der in Treviso, Padova und Vicenza gesprochen wird. Allerdings, viele Sarden kamen aus den Dörfern des Media-Campidano und halfen bei der Urbarmachung der Region. Daher wird hier auch das Campidanese gesprochen.

Auch sie verdienten sich gleichfalls goldene Nasen, und ihr Verhältnis zum Faschismus ist denn auch ein anderes, als das der Deutschen zu ihrer unrühmlichen Geschichte. Hier waren die Taten des Regimes weit weg, hier wurde man für harte Arbeit belohnt und weitgehend in Frieden gelassen, man baute große Villen, der Reichtum war unübersehbar.

Wie es damals aussah, vermittelt dieser Film des Archivio Luce aus der Zeit der vermeintlich „heilen Welt“. An so einigen der vielen Ecken kurz gedacht, aber Wohlstand vernebelt ja oft den Blick.

Arborea: Reich durch Landwirtschaft

Arborea: Reich durch Landwirtschaft

Angekommen im Heute, ist Arborea immer noch eine der wirtschaflich aktivsten Regionen Sardiniens.

Viele Touristen kennen den Namen von der Milchpackung im Supermarkt und die riesige Molkerei ist hier angesiedelt. Eine der wenigen Ecken Sardiniens, in denen die Tiere hier und da nicht mehr allzu kräuterwiesig-natürlich gehalten werden. Aber von unwürdiger Massentierhaltung ist man auch hier noch weit genug entfernt und ein Großteil der Milch stammt von Kleinbauern im Hinterland.

So richtig will hier trotzdem nicht die übliche Sardinien-Romantik aufkommen.

Alles erinnert an Norditalien, sogar die Kirche Santissimo Redentore auf der Piazza Maria Ausiliatrice sieht aus, als hätte man sie direkt aus Südtirol hierher verpflanzt.

Und ja, auch den bitteren Mussolini-Beigeschmack wird Arborea nur schwer los – alles scheint irgendwie zweckmäßig und zielgerichtet.

Sumpfig, platt und vogelreich

Sumpfig, platt und vogelreich

Aber wie immer ist das alles nur im Kopf.

Denn als wir uns in die umliegenden Dörfer begeben und hier und da an den eckigen Straßen abbiegen und vor lauter Richtungswechsel irgendwann überlegen, ob wir eigentlich gerade nach Nord, Süd, Ost oder West fahren, stellen wir fest: Hier gibt es viel zu entdecken.

Auch hier gibt es den Charme des Verflossenen, des Alten, und als wir gegen Abend einen Flamingo in einem Teich stehen sehen, wissen wir: Arborea ist richtig schön.

Seenlandschaft und Sumpfgebiet

Da gibt es …

Flamingo und Möwe

Flamingo und Möwe

… den Stagno S’Ena Arrubia: Dieser See hat seinen Namen vom sardischen „gente arrubia“, was „rotes Volk“ bedeutet – gemeint sind damit die Flamingos, die hier in Kolonien leben und nisten. Auch viele andere Sumpf- und Greifvögel kann man hier beobachten. Gleiches gilt für die Seen am südlichen Golfo di Oristano, die Laguna di Marceddi und den Stagno San Giovanni.

… das Fischerdorf Marceddì am Golfo di Oristano: Ein kleiner Ort, der aus der Symmetrie ausreißt, sich an die Küste zwängt und mittlerweile fast ausgestorben ist. Es bietet nur noch wenigen Fischern und Feriengästen eine Wohnstatt, Infrastruktur und . Übrigens, die Brücke, die es mit dem gegenüberliegenden Festland zu verbinden scheint, ist nicht mehr die frischeste – und nur in eine Richtung befahrbar, aber eh nicht für den normalen Autoverkehr.

Marina d'Arborea

Marina d’Arborea

… die Marina di Arborea: Hier muss „Marina“ nicht mit „Hafen“, sondern mit „Küste“ übersetzt werden. Denn eigentlich ist es nicht mal ein Dorf, sondern nur ein Platz am Meer. Mit einem großen, Schatten spendenden Pinienwald, mit einer sehr exponierten naturbelassenen Strand, an den der vorherrschende Westwind immer wieder lustige Sachen anspült, die anderswo über Bord gegangen sind. Fischernetze sind noch die normalsten. Hier liegen ganze Teppiche von Seequallen und Meerbällen.

Siedlung S'Ungroni

Siedlung S’Ungroni

S’Ungroni: Folgt man dem Schild, landet man zwischen verfallenen Häusern (einige aber zum Teil noch bewohnt) – und in einer grünen Idylle wie aus den Kinderromanen der Nachkriegszeit. Hier scheint die Zeit seit 70 Jahren still zu stehen. Eine römische Nekropole soll hier sein, die 1868 von sardischen Bauern mehr zufällig entdeckt wurde. Die bei den dann folgenden Ausgrabungen entdeckten Fundstücke aus römischer und nordafrikanischer Kultur sind in Arborea im archäologischen Museum ausgestellt.

Wir meinen, die Region ist einen Besuch wert, gerade weil sich dem Reisenden wieder einmal ein ganz anderes Sardinien eröffnet, als das, das er erwartet.

Weitere Informationen:

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert